Manfred Peters (Hrsg.), Seitensprünge

Buch-CoverSeitensprünge führen im Idealfall in Erlebniszonen, zu denen das emotional stabile Establishment oft keinen Zutritt hat. In der Literatur braucht es diese Seitensprünge jedoch, um periphere Raritäten zu entdecken.

Manfred Peters stellt in seinem Reader Literatur aus deutschsprachigen Minderheiten zusammen, dabei verknüpft er Texte aus Belgien, Ungarn und Südtirol.

In der Einleitung heißt es, dass eigentlich alle diese drei deutschsprachigen Literaturen einen gewissen europäischen überregionalen Touch haben, und dass die Zeit vorbei ist, worin diese kleinen Sprachgebiete einen originären Sound entwickelt haben.

Im historischen Überblick werden die wichtigsten Stationen dieser Kleinkulturen aufgeführt, dabei erlebten die Menschen zuerst jeweils einen Schock, als sie von ihren Muttergebieten abgetrennt wurden, später kam die Aufarbeitung der eigenen Geschichte hinzu und  heute genießen diese Kulturen eine zum Teil höchst brauchbare Autonomie.

Das Lesebuch ist so konzipiert, dass in den einzelnen Kapiteln jeweils die Texte aus allen drei Minderheiten gleichwertig zusammengefasst sind. Die wichtigsten Themen handeln von Identität, Tag- und Lebenszeiten, Gemeinwesen, Mythos und Sprache, Liebe sowie Letzte Dinge.

Am aufregendsten ist vielleicht der Text Strelnikow (Lokführer) von Bruno Kartheuser. Darin führt ein lyrischer Lokführer durch die Geschichte jenes versteckten Landstriches von Belgien, in dem beispielsweise die wundersame Kulturzeitschrift Krautgarten erscheint.

im führerstand der lok / steht strelnikow. / manchmal auch prinz karneval. / oder sankt martin. / oder old shatterhand. / oder ein generalanwalt. / oder ein ministerialrat / von  nebenan. (133)

Aus der ungarischen Gegend gehen einem vor allem Texte über Bosnien und den Kosovo unter die Haut. Über die Massengräber in Bosnien schreibt Erika Áts etwa:

Wenn die Vöglein tirilieren / Auf gehts zum Füsilieren / Tausendschön - wieso verwundert? / So reimt sich dieses Jahrhundert (112)

Die Südtiroler Texte sind unsereins vielleicht am besten vertraut. Herbert Rosendorfer berichtet von einem wahnsinnigen Dichter in Eichkatzelried, Joseph Zoderer bringt den Himmel über Meran zum Schwingen, Sepp Mall tastet sich an die Wundränder der jüngeren Bombengeschichte heran.

Als Kriterium für die Aufnahme in die Seitensprünge haben die beiden Juroren aus jeder Region sicherlich in ziemlich pragmatischer Form die Zugänglichkeit zum Copyright der jeweiligen Abschnitte bedacht.

Im Abspann gibt es neben einem kurzen Abriss zur Geschichte, jeweils die wichtigsten Punkte der Autonomien, sowie ein umfangreiches Quellenverzeichnis mit biographischen Kurzdarstellungen der Seitenspringer.

Wahrlich ein leseerotisches Erlebnis.

Manfred Peters (Hg.), Seitensprünge. Literatur aus deutschsprachigen Minderheiten in Europa.
Wien, Bozen: folio 2009. 253 Seiten. EUR 22,50. ISBN 978-3-85256-476-0.

 

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Manfred Peters (Hg.), Seitensprünge

 

Helmuth Schönauer, 01-04-2009

Bibliographie

AutorIn

Manfred Peters

Buchtitel

Seitensprünge. Literatur aus deutschsprachigen Minderheiten in Europa

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

folio

Herausgeber

Manfred Peters

Seitenzahl

253

Preis in EUR

22,50

ISBN

978-3-85256-476-0

Kurzbiographie AutorIn

Manfred Peters ist Ordinarius für deutsche Sprachwissenschaft in Namur / Belgien.