Franz Kafka, Der Gruftwächter

buchcoverManche Literatur geht fließend in Musik über. Für diese Anlässe hat der Mandelbaum Verlag seine Serie "Bibliothek der Töne" aufgelegt.

Franz Kafkas Gruftwächter ist so ein musikalischer Text, der uns ergriffen macht, noch ehe wir wissen warum. Der Akkordeon-Komponist Otto Lechner legt gleich zu Beginn mit der Kaiserhymne los, Vergänglichkeit, Herbst, Zeitlosigkeit tauchen auf.

Dann treten die beiden Stimmen "Anne Bennett" und "Hans Neuenfels" auf, wobei er anfangs nur die Regieanweisungen liest, während sie durchaus auch männliche Stimmen spricht.

Die Geschichte ist absurd von der Welt entrückt. Der Fürst bespricht sich mit seinem Kammerherrn, ob nicht eine zusätzliche Bewachung der Gruft notwendig wäre. Denn allmählich ist die Gruft der wichtigste Bestanteil des Fürstenhauses.

Zu einem authentischen Gegen-Check wird der Gruftwächter gerufen. Dieser ist die Gebrechlichkeit in Person, kann kaum atmen, nur röchelnd schwach sprechen. Seit einem Menschenleben nämlich bewacht er die Gruft und kämpft in der Nacht mit den Gespenstern. Der Obersthofmeister, der mit der Fürstin auftaucht, kann über diesen Gruftwächter nur lachen. Die Fürstin hat andere Sorgen, sie muss vielleicht eine Intrige gegen den Fürsten starten und putschen, weil dieser als Fürst beinahe so schwach ist wie der Gruftwächter in der Tiefe der Nacht.

Generell baut sich eine trübselige Stimmung auf, die im weltberühmten Satz der Fürstin endet:

Es ist diesmal ein über alle Maßen trauriger Herbst.

Da setzt wieder die Kaiserhymne ein, leicht verweht vom Wind der Zeit. Und als man als Zuhörer glaubt, die Geschichte sei zu Ende, greift Karl Ritter zur E-Gitarre und spielt verzerrt wie einst Jimmy Hendrix die Kaiserhymne noch einmal, dieses Mal aber zeitlos schrill.

Das Projekt "Gruftwächter mit Ton" ist ein packendes Hörerlebnis. Der Text Kafkas wird nicht nur im größten Purismus ausgeführt, er wirkt atemlos zurückgenommen, an manchen Stellen sind die Stimmen nicht mehr von dieser Welt. Die melancholische Musik schwirrt zwischendurch überhaupt ins Jenseits ab, und der Gruftwächter ist zwischen Diesseits und Jenseits als sprechendes Gerippe aufgebaut.

Parallelen zur Gegenwart gibt es viele. Die Politiker, die sich längst von der Welt verabschiedet haben und nur noch dem Ruf fürs Jenseits huldigen, die sinnlose Arbeitswelt aller Gruftwächter dieser Welt, die entweder gefeuert oder ausgelacht werden, die Intrigen im eigenen Haus, die komplette Hilflosigkeit, wie man diesem herbstlichen Desaster begegnen soll. - Wunderschön ironisch morbid.

Franz Kafka, Der Gruftwächter. Gestaltet von Otto Lechner.
Wien: mandelbaum 2009. ( = bibliothek der töne). 26 Seiten. + CD. EUR 22,90. ISBN 978-3-85476-249-2.

 

Weiterführende Links:
Mandelbaum-Verlag: Franz Kafka, Der Gruftwächter
Wikipedia: Franz Kafka

 

Helmuth Schönauer, 30-04-2009

Bibliographie

AutorIn

Franz Kafka

Buchtitel

Der Gruftwächter

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

mandelbaum

Illustration

Linda Wolfsgruber

Seitenzahl

26

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-85476-249-2

Kurzbiographie AutorIn

Franz Kafka, geb. 1883 in Prag, starb 1924 in Kierling.<br /><br /> Otto Lechner, geb. 1964 in Melk, lebt als Komponist und Akkordeonist in Wien.