Stefan Schmitzer, wohin die verschwunden ist

Buch-CoverKann etwas Persönliches für die Allgemeinheit wichtig sein? Und umgekehrt, hat das allgemein Beobachtete für das Individuum Auswirkungen?

Stefan Schmitzer geht diesen Fragen mit seinem Roman auf den ersten Blick gleich optisch an. Er drittelt die Buchseiten, zwei Drittel gehen als allgemeines Schicksal wie ein üblicher Roman vonstatten, das untere Drittel in blasser Schrift gilt einem individuellen Schicksal, das man von hinten nach vorne lesen muss, ehe es plötzlich versiegt.

Im offiziellen Teil geht es um Schicksale von Personen, die sich in einer Stadt zurechtfinden müssen. Eine Frau lässt sich zu Beginn von zwei Männern in einem Innenhof sexuell niederputzen, einer der Männer ist hintennach entsetzt, dass dies alles ohne Kondom geschehen ist. Ein Lehrer schlängelt sich mehr außerhalb der Schule durchs Leben, als dass er mit seinem Beruf etwas anfangen könnte. Er versucht das Schicksal des Halbwüchsigen Sam zu erkunden, halb Berater, halb hilfloser Kommentator.

Die Stationen könnten in jeder Stadt installiert werden: Plätze und Hinterhöfe, Wettcafé, Wohngemeinschaft, Haus vor der Stadt, U-Bahn, Treppenhäuser Hochhausdach, Café in Hanglage, Parklandschaft. In diesen acht Kapiteln gibt die Stadt wie an den dafür vorgesehenen Ventilen ihren Lebensdampf ab.

Dabei geht es durchaus skurril zu, im Wettcafé werden beispielsweise Wohnungen verlost, was ja dem realen Vorgang im Wohnungsamt recht nahe kommt. In der U-Bahn verschwinden die outgesourcten Bewohner für eine gewisse Zeit und fühlen sich sinnvoll aufgehoben. Am Hochhausdach lässt sich neben der Stadtlandschaft auch das eigene Leben am ehesten definieren.

Der Lehrer durchlebt alle diese Stationen und hält quasi die öffentliche Wahrnehmung zusammen.

Diesem öffentlichen Kosmos ist im Gegenzug das persönliche Schicksal einer Frau entgegengesetzt. Diese kommt sozial derangiert in die Stadt, wird schwanger, nennt das Kind Sam, damit später einmal die Menschen etwas an diesem Namen herum zu forschen haben, schließlich gibt sie das Kind weg und verflüchtigt sich im Untergrund.

Zusammen mit zwei anderen Frauen macht sie Überfälle oder kleine Attentate auf das gewöhnliche Leben. Eine Komplizin nennt sich Fuchsmaske, eine andere Stripperin, das heißt, untertauchen kann man nur durch Entblößung oder Maskierung. Die Frau flüchtet schließlich aus der Stadt in eine Gegend, worin sich in einer fremden Sprache Äpfel klauben lassen.

Die belanglose Figur verschwindet, aber es ist nicht wichtig.

Stefan Schmitzer erzählt anarchistisch genau über öffentliche und private Wahrnehmung. Die Sätze in der Stadt sind straff und beinahe im Sekundenstil aufgeschrieben, während die Gegenläufigkeit des Textes heroisch verkürzt wie in einer Ballade daherkommt.

Wenn man einmal begriffen hat, wie man diesen Roman in Händen halten muss, lässt er sich wundersam poetisch und logisch lesen!

Stefan Schmitzer, wohin die verschwunden ist, um die es ohnehin nicht geht. Roman.
Graz: Droschl 2009. 148 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-85420-754-2.

 

Weiterführende Links:
Droschl-Literaturverlag: Stefan Schmitzer, wohin die verschwunden ist, um die es ohnehin nicht geht
Homepage: Stefan Schmitzer

 

Helmuth Schönauer, 28-06-2009

Bibliographie

AutorIn

Stefan Schmitzer

Buchtitel

wohin die verschwunden ist, um die es ohnehin nicht geht

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Droschl

Seitenzahl

148

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-85420-754-2

Kurzbiographie AutorIn

Stefan Schmitzer, geb. 1979 in Graz, lebt in Graz.