Péter Nádas, Spurensicherung

Buch-CoverManchmal läuft die Zeitgeschichte so verrückt ab, dass man sie sich selbst als Zeitgenosse nicht glaubt.

Péter Nádas, zu Zeiten des kommunistischen Regimes verfolgter und verbotener Dichter, sichert in seinem Essayband diverse Spuren, die bereits nach zwanzig Jahren ins Groteske und Absurde eines totalitären Systems führen.

Liegengebliebene Aufzeichnungen eines Provinzjournalisten nennt sich der erste Text. Ein Journalist, offensichtlich an die Peripherie der Geschehnisse verbannt, hat es mit biographischem Kleinkram zu tun. Aber in einem Schreckensstaat ist auch die Provinz pervers von Denunziation und Überwachung durchseucht. Am Schreibtisch stapeln sich die anonymen Beschwerden gegen jedermann.

Als Faustregel gilt, ab zehn Anzeigen muss der Angezeigte aus seinem angestammten Beruf entfernt werden. Egal ob Melker, Dorfsekretär oder Schuldirektor, alle werden denunziert, bis sie weg sind. Der Journalist registriert diese Geschichten, schreibt ein wenig an diesen Stories herum und lässt sie dann verstauben, die beste Antwort auf Denunziation.

Die Titelgeschichte "Spurensicherung" führt nach der Zeitenwende in eine Villa des Grauens. Hier wurden einst alle gefoltert, die dem Politbüro per Zufallsgenerator in die Hände gefallen sind. Einer hat offensichtlich überlebt und eine Untergrundschrift verfasst, anhand dieser Folterschrift versuchen die Nachfahren die Villa zu beschreiben und entdecken den getarnten Schrecken. Je gewöhnlicher etwas nach außen wirkt, umso grauenhafter geht es im Innern zu.

Bemerkenswert ist die Erzählstruktur des Textes, als Breitband zur Erzählung läuft im Untergrund jeweils eine Chronik der handelnden Bösewichte mit, harmlose Fotos entfalten Grauen, indem ihnen in beinahe lyrischer Verknappung der Inhalt des Terrors beigestellt wird.

Im Jahrtausend-Essay "Parasitäre Systeme", entstanden 2000, vergleicht der Autor das östliche und das westliche System des kalten Krieges mit einander und stellt eine unheimliche Verzahnung fest, jedes System war ein Parasit des andern. In einer Interview-Serie am Schluss des Bandes heißt es, dass wie jede Diktatur auch die Ungarische auf Pump lebte. Ab einem gewissen Zeitpunkt musste sich das Regime eine gezähmte Opposition leisten, um vom Westen Kredite zu bekommen. Die Dissidenten fungierten so quasi als indirekte Unterstützer des Regimes.

Die beinahe melancholische Erzählung "Heute" berichtet vom abgeschiedenen Leben eines aufs Land Verbannten zwischen Erbsen, Gänse-Anger und Kompott. Das Hirn gleicht sich in solchen Situationen meist dem Ambiente an.

Péter Nádas' Essays führen in eine skurrile Vergangenheit, die der Autor durchaus immer wieder mit subjektiven Einschätzungen unterlegt. Erst aus der Entfernung sieht man, dass es unmöglich war, ein durchgehend guter Mensch zu sein, der alles richtig macht. Gerade die Fangarme der Politik, die sich jeweils die zeitgenössischen Intellektuellen krallen wollen, reichen bis in die Gegenwart. Und auch heute sitzen wieder Tausende Künstler in der Falle der Politik, und machen vielleicht auch das Falsche.

Péter Nádas, Spurensicherung. A. d. Ungar. von Akos Doma und Ruth Futaky. Mit Fotos des Autors.
Berlin: Berlin Verlag 2007. 170 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-8270-0759-9.

 

Weiterführende Links:
Berlin-Verlag: Péter Nádas, Spurensicherung
Wikipedia: Péter Nádas

 

Helmuth Schönauer, 28-07-2009

Bibliographie

AutorIn

Péter Nádas

Buchtitel

Spurensicherung

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Berlin Verlag

Illustration

Péter Nádas

Übersetzung

Akos Doma und Ruth Futaky

Seitenzahl

170

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-8270-0759-9

Kurzbiographie AutorIn

Péter Nádas, geb. 1942 in Budapest, lebt in Budapest.