Carsten Otte, Goodbye Auto

Buch-CoverEine adäquate Kultur muss wahrscheinlich irreal wie die Menschheit sein, um als Ausdrucksform dieser Menschheit durchzugehen. So gesehen ist die Auto-Kultur etwas vom Höchsten, was die Menschheit in den letzten fünfzig Jahren hervorgebracht hat.

Carsten Otte erzählt in einem Speed, den nur ein gelernter Fußgänger entwickeln kann, von all den Ungereimtheiten und Skurrilitäten, die sich rund ums Auto abspielen. Sinnigerweise nennt er seine Erzählform "Auto-Biographie".

Es beginnt schon mit der Irritation, dass eine frisch aufgerissene Freundin eher annimmt, der Galan sei verheiratet, als er habe keinen Führerschein. Keinen Führerschein zu haben, gilt nicht nur als impotent, manchmal schremmt so eine Figur knapp an der Psychiatrie entlang, denn du sollst keinen Auto-Gedanken haben außer jenen ans Auto!

Mit der Zeit kommt fast alles dran, was in unserer Gesellschaft je als Kultur-Begriff aufgetaucht ist. Dabei stellen sich seltsame Fragen. Ist das Elektro-Auto vielleicht deshalb so unattraktiv, weil das Ladekabel nicht so dick ist wie der Tank-Schlauch? Gibt es im Zeitalter von GPS noch einen echten Beifahrer? Gibt es eine brauchbare Anleitung, wie man den Schlamm-Spray auf SUVs sprüht? Stimmt die These eines Kindergartenmädchens, wonach die Mütter umso kleiner sind, je größer ihr Auto ist?

Allmählich entwickelt sich unser Leben plastisch und unverwechselbar vor unseren Leseraugen, wenn wir sehen, wie die Tankstellen zu rund um die Uhr geöffneten Kulturzentren werden, wenn wir kapieren, dass man beim Töten die Hemmschwelle herabsetzen muss, wie es die moderne Auto-Industrie zu inszenieren vermag, wenn wir erleben, dass Regularien zwar sinnvoll aber undurchführbar sind.

Dabei wimmelt es in der Auto-Szene nur so von Psychopaten. Jemand parkt beispielsweise ständig am Gehsteig, weil "ich dort parke, wo ich will", ein anderer investiert sein ganzes Geld in Felgen und tiefer gelegte Rahmen, ein dritter kündigt die Freundschaft zu seinem langjährigen Freund, als dieser gegen den Irrsinn der Pendlerpauschale auftritt. Ein guter Narr gibt im Laufe seines Lebens gut 300.000 Euro für das Kulturgut Auto aus.

Carsten Otte erzählt genial speedy. Als Mensch ohne Führerschein hat der Ich-Erzähler jede Erlaubnis, Tabus zu brechen. So entwickelt sich die Auto-Biographie tatsächlich zu einer unverwechselbaren Erzählform. - Ein rasantes Leseerlebnis über die heilige Kuh Auto und die Unmöglichkeit, sie mit rationalen Argumenten zu schlachten!

Carsten Otte, Goodbye Auto. Ein Leben ohne Führerschein.
München: Goldmann 2009. 348 Seiten. EUR 9,20. ISBN 978-3-442-15556-9.

 

Weiterführende Links:
Goldmann-Verlag: Carsten Otte, Goodbye Auto
Homepage: Carsten Otte

 

Helmuth Schönauer, 20-09-2009

Bibliographie

AutorIn

Carsten Otte

Buchtitel

Goodbye Auto. Ein Leben ohne Führerschein

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Goldmann

Seitenzahl

348

Preis in EUR

9,20

ISBN

978-3-442-15556-9

Kurzbiographie AutorIn

Carsten Otte, geb. 1972 in Bonn, pendelt zwischen Baden-Baden und Hannover.