David Schalko, Weiße Nacht

Buch-CoverIm Tourismus werden unter dem Label ?Weiße Nächte Dämmerungen in Sankt Petersburg ausgelobt, wobei man sich ordentlich betrinkt, dem Hochklappen der Brücken über die Newa zusieht und sich freut, dass die Sonne zwar verschwindet, aber das Licht über Nacht erhalten bleibt.

David Schalko genügt eine einzige weiße Nacht, um Glück, Weltendstimmung, Wahnsinn und Mythos in einem Aufwaschen zu erledigen.

In der weißen Nacht stoßen alle Erlösungsmythen aufeinander und ermöglichen das Weltall der Provinz, worin sich in einem Geheimbund die V.O.s (vires occulte) die Hand reichen und die Welt aus den Angeln heben. Obwohl die einzelnen "Führer-Figuren" nie namentlich genannt sind, lassen sich im Kontext doch so bekannte Figuren wie Jesus, Winnetou, Wunderpferd Silberkarosse, Lebenspartner, Landesmutter, Herr im Tal der Wölfe, Karl May, Haider, Hitler, Dollfuss, Udo Jürgens und wieder Jesus ausmachen.

Allen diesen Mythenträger ist ein erlöserisches Gehabe zugrunde gelegt, ihre Handlungen zielen darauf ab, die Menschen glücklich zu machen, um final dem Weltuntergang mit einer professionellen Ehrenbezeugung zu begegnen. Natürlich liegt eine faschistoide Stimmung in der Luft, aber durch die Provinz und die Unterdimensionierung der Protagonisten geht der faschistische Schuss oft ins Lächerliche los. Aber vielleicht ist gerade das das Kennzeichen des Faschismus.

Von der Handlung her gesehen geht es fulminant pervers zu. Ein gewisser Thomas wird von "Ihm" erweckt und in das politische Leben eines Kleinlandes eingeführt. Thomas ist erstarrt und derangiert in einem, als er den Star der Politik begleiten darf und zu seinem Lebenspartner wird. "So jemanden sucht man nicht, so einer findet sich." (55)

Alles, was man an Design- und Labelkunde braucht, um in dieser leicht durchgeölten Welt der Retter und Erlöser bestehen zu können, lernt Thomas spielend, wenn er in der Silberkarosse sitzt und über das Land fliegt. Am Abend kommt manchmal noch die Landesmutter auf ihn zu und gibt ihm den Rest.

Natürlich muss zwischen einer Leerfahrt und der nächsten etwas geschehen, eine Vernissage beispielsweise.

Empty Art ist die Kunst für das Volk. Die Kunst, die alle verstehen, weil es nichts zu verstehen gibt. Das Ziel ist klar. Jeder kann sie herstellen. Ganz ohne Idee. (94)

In der "Weißen Nacht" schließlich gehen alle diese verrückten Mythen in eine Ekstase über, worin sich die Sätze selbst aushöhlen, ein Sänger mit dem Refrain "Und immer wieder geht die Sonne auf" auf einen Politiker antwortet, der meint, die Sonne sei vom Himmel gefallen.

David Schalko nennt seinen Text nicht einmal mehr Roman, weil er jede Gattung sprengt. Aus Kleinformat-Idylle, politischer Schmierberichterstattung und dem sprichwörtlich unterbelichteten Österreicher-Hirn wächst eine Groteske zusammen, die es in sich hat. Indem David Schalko das Minimundus in Kärnten mit der Laubsäge zerlegt, zerlegt er alle diese verdammt kleinmythigen Mythen, die Tag für Tag in uns hinein nässen. Dagegen hilft nur eine weiße Nacht der Literatur!

David Schalko, Weiße Nacht.
Wien: Czernin 2009. 177 Seiten. EUR 16,90. ISBN 978-3-7076-0291-3.

 

Weiterführende Links:
Czernin-Verlag: David Schalko, Weiße Nacht
Wikipedia: David Schalko

 

Helmuth Schönauer, 17-10-2009

Bibliographie

AutorIn

David Schalko

Buchtitel

Weiße Nacht

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Czernin

Seitenzahl

177

Preis in EUR

16,90

ISBN

978-3-7076-0291-3

Kurzbiographie AutorIn

David Schalko, geb. 1973, lebt als Autor und Regisseur in Wien.