Michael Winterhoff, Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Buch-CoverKaum stehen ein paar Erwachsene zusammen, beginnen sie auch schon über die heutige Jugend zu diskutieren und sind sich einig: Diese Kids sind allesamt ein schwieriger Fall für Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter.

Michael Winterhoff "bearbeitet" seit Jahrzehnten Kinder und Jugendliche und stellt fest, die sogenannten Verhaltensgestörten sind mittlerweile in der Überzahl.

Während früher vielleicht ein Fünftel einer Klasse auffällig war, ist es heutzutage umgekehrt, höchstens ein Fünftel ist normal, was immer das bedeuten mag. Vielleicht hängt diese Einschätzung damit zusammen, dass der Autor im Sinne der kontinuierlich vergleichbaren Wissenschaft seinen Fragebogen nicht nachjustiert hat, vielleicht passt einfach die Untersuchungsmethode nicht mehr zur Realität, könnte man als Leser einwenden.

Michael Winterhoffs Hauptthese lautet: Das Kind wird heutzutage als Erwachsener behandelt, das führt zu Problemen. Nicht zuletzt wegen dieses Erwachsenenstatus  benehmen sich Kinder scheinbar als Tyrannen.

Die klassischen Beziehungsstörungen zwischen Erwachsenen und Kindern haben meist ihre Ursachen in falscher Partnerschaftlichkeit, Projektion oder Symbiose.

Falsche Partnerschaftlichkeit bedeutet, dass die Kinder aus der untergeordneten Rolle zwangsbefreit werden. Die Kinder diskutieren Erwachsenenprobleme mit, obwohl sie die Tragweite der Themen oft gar nicht erkennen können.

Projektion meint, dass sich die Eltern unter das Kind begeben. Das Kind ist letztlich dazu da, dass sich der Erwachsene in der Gesellschaft präsentieren kann nach dem Motto, seht her, wie toll ich bin, weil ich so ein tolles Kind habe.

Symbiose bezeichnet jenen Zustand, worin die Eltern mit der Psyche ihres Kindes verschmelzen. Alles, was dem Kind geschieht, beziehen die Eltern auf sich, das Kind wird quasi ein Stück Gliedmaß am Elternteil.

Aus diesen Beziehungsstörungen ergibt sich ein Leerraum für das Kind, worin es sich durchaus zum Tyrannen entwickelt. Man tut also letztlich sich selbst und dem Kind nichts Gutes, meint der Autor, wenn man das Kind als Erwachsenen behandelt. Klare Abgrenzungen ermöglichen erst jenen Freiraum, der zum Heranwachsen eines Individuums unumgänglich ist.

In einer scharf überspitzten Schlussanalyse beschreibt Michael Winterhoff ein paar Auswüchse dieser Tyrannen-Gesellschaft, etwa die antrainierte Körperfaulheit der heutigen Kinder oder den Trend zum asozialen Verhalten.

Die direkte Forderung, die Politik möge Untersuchungen fördern und dann Fachleute zur Bekämpfung anormalen Verhaltens einsetzen, klingt ein bisschen nach Geschäftsanbahnung. Also Sozialarbeiter an die Schule und alle Kids zum Psychiater, das dürfte wohl nicht der gelungene Ausweg sein. In der Beschreibung des Grundproblems freilich ist Michael Winterhoff realistisch und regt ordentlich zum Überdenken der jeweiligen Gesellschaftslage an.

Michael Winterhoff, Warum unsere Kinder Tyrannen werden. Oder: Die Abschaffung der Kindheit. Unter Mitarbeit von Carsten Tergast.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2008. [20. Aufl. 2009]. 190 Seiten. EUR 18,50. ISBN 978-3-579-06980-7.

 

Weiterführende Links:
Gütersloher Verlagshaus: Michael Winterhoff, Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Wikipedia: Michael Winterhoff

 

Helmuth Schönauer, 30-10-2009

Bibliographie

AutorIn

Michael Winterhoff

Buchtitel

Warum unsere Kinder Tyrannen werden. Oder: Die Abschaffung der Kindheit

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Gütersloher Verlagshaus

Seitenzahl

190

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-579-06980-7

Kurzbiographie AutorIn

Michael Winterhoff, geb. 1955, ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bonn.