Daniel Schwartz, Schnee in Samarkand

Buch-CoverWas haben Reisen und fette Bücher gemeinsam? - Mit beiden lässt es sich aus der Zeit aussteigen.

Daniel Schwartz ist zwischen 1987 und 2007 als einsamer Fremder in jene asiatischen Gebiete der Zeitlosigkeit gereist, die oft schon eine Hochkultur entwickelt hatten, als in unseren Gegenden noch nicht einmal die Bäume aufgestellt waren, von denen später der homo alpinus heruntergeklettert ist.

Aus diesen Reisejournalen, den hinzu gelesenen Texten, den Gesprächen und schließlich aus einem Netz gigantischer Verknüpfung von Raum und Zeit ist schließlich jenes toll-dicke Buch entstanden, dessen Titel auf eine Besonderheit hinweist, Schnee ist in Samarkand nicht alltäglich.

Allein das Inhaltsverzeichnis mit den wichtigsten Reiseetappen und Ideen, die Einführung in den Kosmos zentralasiatischer Schriften und der Einstimmungsprolog verbrauchen schon knapp sechzig Seiten. Und die anschließenden zwölf Bücher tragen so imaginative Titel wie: Reisen in Raum und Kopf, Gedränge in Mythos und Gegenwart, Topographie der Gewinne, Seidenstraßen und dergleichen, Straßen des Verrates.

Da Geschichte, aktuelle Lage, Reiseerfahrung und literarisches Zaumzeug an jeder Seite eingespannt sind, kann man als Leser überall einsteigen, der Autor legt jeweils mit ein paar verbalen Handbewegungen die Lage offen und es geht ja ohnehin um die Zeitlosigkeit.

Länder und Begriffe, die wir sonst in seltenen Geographie-Sendungen hören, sind hier aufgefädelt wie Haltestationen einer Vorortlinie, exotisch fern und doch zum Greifen nah.

Skythen, Taliban, Tadschikistan, Hindukusch, Kublai Kahn oder Usbekistan gehen quasi von einem Kapitel ins nächste über, den Aufzeichnungen als graphischem Hauptstrom sind dabei ganze Seitenteile als Einschubtexte vom Rande her eingepflanzt.

Dazwischen gibt es wie in einem psychologischen Theaterstück handfeste Regieanweisungen und Facts. "Bei seiner Grabung stößt Jefferson jedoch nur auf Knochen." (636)

Die Geschichte Zentralasiens ist durch den Zeitraffer gesehen eine Orgie von Einfällen, Zerstörungen, Wanderungen und Vertreibungen. Nicht umsonst ist in den größeren Orten Usbekistans der Registan als zentraler Ort in erster Linie eine Hinrichtungsstätte, an der zwischendurch Verwaltungsbescheide ausgerufen wurden.

Daniel Schwartz schreibt wie ein von der Zeitlosigkeit Besessener und reißt den Leser vollends mit. Über dieses Buch zu reden gelingt nur, wenn man sich darin versenkt und nichts sagt, das Lesen bewirkt also einen beinahe Wittgensteinschen Zustand.

Daniel Schwartz, Schnee in Samarkand. Ein Reisebericht aus dreitausend Jahren. Abb.
Frankfurt/M: Eichborn 2008. 991 Seiten. EUR 49,90. ISBN 978-3-8218-5831-9.

 

Helmuth Schönauer, 08-12-2009

Bibliographie

AutorIn

Daniel Schwartz

Buchtitel

Schnee in Samarkand. Ein Reisebericht aus dreitausend Jahren

Erscheinungsort

Frankfurt

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Eichborn

Seitenzahl

991

Preis in EUR

49,90

ISBN

978-3-8218-5831-9

Kurzbiographie AutorIn

Daniel Schwartz, geb. 1954 in Olten, ist Autor, Fotograf und Reiseschriftsteller. Er bereiste Zentralasien zwischen 1987 und 2007.