Stefan Hahn, Identitätsdiskurse und Demokratie-Lernen im Unterricht
Welchen persönlichen Nutzen ziehen Schülerinnen und Schüler eigentlich aus dem in der Schule gelernten Wissen? Und wie lässt sich Unterricht gestalten, damit sich auch die Identitätsbildung Jugendlicher fördern lässt.
Schwierige Fragen für alle Lehrpersonen, die sich nicht damit begnügen wollen, lediglich den geforderten Lehrstoff zu vermitteln. Der Pädagoge und Soziologe Stefan Hahn setzt sich in seiner Dissertation "Identitätsdiskurse und Demokratie-Lernen im Unterricht" mit dem Verhältnis von Identitätsarbeit und Kompetenzerwerb auseinander, was anhand des wissenschaftlich begleiteten schulischen Lehrstücks "Wir gründen eine Dorfgemeinschaft" empirisch untersucht wird.
Vier achte Klassen beteiligten sich am Lehrstück, das alle Schülerinnen und Schüler vor die gleiche Ausgangsituation stellte. Als Lebensumwelt wurde ein kleine südfranzösisches Dorf Namens Marignac ausgewählt mit einer Kirche, einem Stall, einer Werkstatt, einem Schul- und Gemeindehaus, einem Gefängnis, einem Stück Ackerland sowie einer auf die Anzahl der teilnehmenden Schüler abgestimmt Anzahl von Wohnhäusern, in denen mehrere Schüler gemeinsam leben mussten. Die Wohngröße und die Höhe des Einkommens, das in Form eines Taschengelds für begrenzte Zeit zur Verfügung stand, wurden per Los bewusst unterschiedlich verteilt, um realistische soziale Ungleichheiten zu schaffen.
Im ersten Teil des Lehrstücks sollten die Jugendlichen Teilnehmer eine Gesellschaftstheorie entdecken, ihre Gesellschaft zu organisieren und zu strittigen Themen, wie z.B. Homosexualität, Kernenergie, Genmanipulation u.a. klare Positionen zu beziehen. In einem zweiten Teil wurde die Gruppe mit unterschiedlichen sich widerstreitenden Gesellschaftstheorien konfrontiert, die mit dem eigenen "Dorfmodell" verglichen wurden.
Mit dem Lehrstück in der Schule sollten grundlegende Ziele politischer Bildung gelernt werden, wie das eigene Weltbild zu entdecken, zu systematisieren und zu erweitern oder poltische Urteile zu fällen. Dabei werden die unterschiedlichen Rollen der beteiligten Schüler und Lehrpersonen in der Dramaturgie des Lehrstückes analysiert.
Im theoretischen Rahmen der Arbeit werden die verwendeten theoretischen Grundlagen der Untersuchung vorgestellt und ein konstruktivistisches Sozialisationsmodell vorgestellt, in dem die Beziehungen zwischen Personen von ihrer Teilnahmen an der gesellschaftlichen Diskussion in Beziehung stehen. Es wird untersucht, was politische Sozialisationsprozesse in der Schule beinhalten sollen und wie sich diese in der Schule unterstützen lassen.
Stefan Hahn behandelt das überaus spannende Thema der politischen Sozialisation von Jugendlichen im schulischen Unterricht, das anhand des Lehrstücks "Wir gründen eine Dorfgemeinschaft" in der Schulpraxis untersucht wurde. Dabei werden viele interessante Fragen aufgeworfen, analysiert und methodologisch reflektiert.
Schade ist, dass die Veröffentlichung der Dissertation nicht für ein breiteres Publikum aufbereitet wurde und mit seiner rigiden Verwendung von Fachausdrücken und seinen komplexen und nur mit Mühe verständlichen Satzkonstruktionen einen Großteil des interessierten Publikums auch aus dem schulischen Bereich abschrecken dürfte.
Stefan Hahn, Identitätsdiskurse und Demokratie-Lernen im Unterricht. Die Perspektive einer systemtheoretisch informierten Bildungsgangforschung im Lernfeld Gesellschaft
Opladen: Verlag Barbara Budrich 2010, 337 Seiten, 34,00 EUR, ISBN 978386649-080-2
Weiterführender Link:
Budrich-Verlag: Stefan Hahn, Identitätsdiskurse und Demokratie-Lernen im Unterricht