Christian Mähr, Karlitos Reich

Buch-Cover

Was haben ein Welt-Kaiser und ein Provinzjournalist gemeinsam? - Sie sind meist deplatziert.

In Christian Mährs Jahrhunderte-Epos geht es um Erkenntnis der Wirklichkeit, wie sie sich jeweils in der gegenwärtigen Zeit und quer über den Zeitverlauf darstellt. Zu diesem Zweck agieren auf gleicher Ebene der glücklose Karolinger Kaiser Karl III und der Provinzjournalist Karl Wohlgemut.

Die Geschichte des Epochen-Wechsels ist geradezu genial einfach. Aus der Zeit der Karolinger hat sich eine heimtückische Krankheit erhalten, die als sogenannte Skrofeln unvermutet ausbricht. Diese Skrofeln breiten sich wie eine Seuche aus dem Jenseits aus und lassen sich mit der gängigen Medizin nicht in Schranken weisen. Der Journalist Wohlgemut kann sie überraschenderweise heilen, wird jedoch beim Anblick dieser unguten Pusteln ins neunte Jahrhundert zurück gepustet.

Was in die eine Richtung funktioniert, nämlich dass der Journalist ununterbrochen reitend, im freien Feld die Notdurft verrichtend und von einer Pfalz zur andern flüchtend sich mit Latein herumschlagen muss, funktioniert auch in die andere Richtung: der lateinisch sprechende Kaiser Nummer drei  reitet in einem im Innsbrucker Tourismus-Shop gekauften Tunika-Fetzen nach Wien, um sich die kaiserlichen Insignien unter den Nagel zu reißen.

Beide Gesellschaften funktionieren ähnlich, der Kaiser des Mittelalters leitet sich von Gott her und benimmt sich auch so, der Guru der Gegenwart leitet seine Macht aus Fernsehbildern und Journalismus ab und hält dementsprechend in sich selbst Hof.

In einem doppelten Show-Down wird Karl III von Agenten des Arnulf umgelegt, während der moderne Kaiser in den Auen von Feldkirch von sogenannten Partei-Freunden in der Ill ertränkt wird. Kulturen rund um einen Kaiser sind immer verrückt, irreal und ein Mittelding zwischen schräger Verwaltung und geradliniger Mystik.

Im Roman ist quirlig die Idee von Kaisertum und Macht dargestellt, der feine literaturtheoretische Teil lässt den Leser schier wahnsinnig werden. Wie lassen sich Epochen-Sprünge erzählen, dass sie logisch sind? Und die Tatsache, dass sowohl jeder Kaiser Karl als auch jeder mittelmäßige Journalist hochgradig schizophren sein müssen, um ihre Mission zu erfüllen, eröffnet Parallelwelten und Zeitsprüngen alle Möglichkeiten zur Entfaltung einer pervers-guten Story.

Dass ein Irrer mit den Zügen eines schizophrenen Kleinlandeshauptmanns auftaucht und die Welt verhext, dass eine debile Regierung wie im Prager Fenstersturz einzeln aus dem Fenster geschmissen wird, erhöht die Leselust zusätzlich. Bei Christian Mähr kriegen die Wahnsinnigen endlich die Oberhand und entreißen das Geschehen den historischen Figuren, die uns Leser Jahrhundertelang in den Wahnsinn getrieben haben. - Ein absoluter Top-Roman, jede der 650 Seiten ist notwendig, um dieses große Unding von verstellter Wirklichkeit halbwegs zu dechiffrieren!

Christian Mähr, Karlitos Reich. Roman.
Hohenems: Limbus 2010. 672 Seiten. EUR 25,90. ISBN 978-3-902534-38-5.

Christian Mähr, geb. 1952 in Nofels bei Feldkirch, lebt in Dornbirn.

Helmuth Schönauer, 02-11-2010

Bibliographie

AutorIn

Christian Mähr

Buchtitel

Karlitos Reich

Erscheinungsort

Hohenems

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Limbus

Seitenzahl

672

Preis in EUR

25,90

ISBN

978-3-902534-38-5

Kurzbiographie AutorIn

Christian Mähr, geb. 1952 in Nofels bei Feldkirch, lebt in Dornbirn.