Harald Gsaller, Zwang

Buch-CoverManche Wörter lösen vortrefflich genau das aus, was sie bezeichnen. Zwang ist so ein Musterwort, fällt es, denkt sofort jeder nach, welcher Zwang gerade akut ist.

In Harald Gsallers Text-Bild-Sammlung tritt die Figur Zwang auf, die selbstverständlich alles in Beschlag nimmt. Alle Beobachtungen und Ereignisse münden im Zwang:

Der Herd schreit mich an. Der Herd in meiner Küche, die Schalter, die Skalen, die roten Striche, sie schreien mich an! (5)

Ein Ausweg aus diesem Zwang ist die Ordnung, weshalb der Ordnungsmeister Wittgenstein zu Hilfe gerufen wird, nach seiner nummerischen Gliederung wird auch das Chaos des Zwangs geordnet. So spiegeln Schaustücke in Vitrinen, halb ausgeformte Teigberge aus Mehl, Spuren im Wald oder Sitzungen am WC sauber strukturiert eine Ordnung vor, die einerseits den Zwang hervorruft, andererseits besiegt.

Der Text seinerseits ist aus Elementen der Tagespresse, aus privaten Alltagsabläufen, Gerüchte-Stories und Weisheiten vom sprichwörtlichen Mann von der Straße zusammenkomponiert.

Wischen des Arsches schließt andere Tätigkeiten aus. [...] Nun, von nun an werde ich den Namen "Herr Zwang" tragen. Ungern tut man unter Zwang, was man freiwillig gerne tut. Ungern tut Zwang unter Zwang, was er freiwillig gerne tut. (15)

Schmaltiere, Katzen, die Nadel am Grund des Meeres, die Tatra bevölkern den Text mit Pixeln und semantischem Durchzug.

Ein Kapitel, das sowohl als sozialkritische Kulturstudie als auch als österreichische Geheimverfassung durchgeht, widmet sich dem noblen Wiener Stadtteil Hietzing, wo alle gut gekleidet sind, fesche Mütter immer von fernsehtauglichen Zwillingen begleitet werden und an der Kassa ältere Damen durchwinken, die gealterten Darstellerinnen an der Burg gleichen.

Warum wird ein Fahrer eines 2800 kg Hummers in Wien seltener intern mit Arschloch tituliert, wenn der Wagen ein deutsches Kennzeichen trägt, als wenn er ein, sagen wir, rumänisches oder georgisches trägt? (60)

Mit einem Hummer lässt sich übrigens das frische Getreide für das Müsli besonders elegant abtransportieren, solche Handlungen unter einem seltsamen Zwang ausgeübt, führen automatisch zu guten Geschichten aus der noblen Vorstadt.

Neben dieser österreichischen Spezialgeschichte sind es durchaus kleine tödliche Begebenheiten aus der Allerwelt-Chronik, die einem gewissen Zwang unterliegen.

In seiner schweren Stunde eilt dem Bergmann niemand mehr zu Hilfe! (80)

In manchen Situationen verdichtet sich der Zwang zu einem Emblem und verheißt Schutz oder Untergang.

Harald Gsallers speediges Kompendium zum Thema Zwang versprüht Pfiff, Schärfe und Durchsetzungsvermögen. Mit ironischen Werkzeugen bricht er gleichsam Bild und Text in einem Arbeitsvorgang auf. Alles, was wir üblicherweise sehen, könnten wir auch falsch gesehen haben. Harald Gsaller zwingt uns, unseren Zwangsgewohnheiten ungebrochen ins Auge zu blicken. Scharf und unterhaltsam!

Harald Gsaller, Zwang. Mit Emblemen und Fotos des Autors.
Wien: Der Pudel 2010. 95 Seiten. EUR 17,-. ISBN 978-3-9501830-5-4.

 

Helmuth Schönauer, 05-01-2011

Bibliographie

AutorIn

Harald Gsaller

Buchtitel

Zwang

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Der Pudel

Seitenzahl

95

Preis in EUR

17,00

ISBN

978-3-9501830-5-4

Kurzbiographie AutorIn

Harald Gsaller, geb. 1960 in Lienz, lebt in Wien.