Reinhard Kocznar, Die Erstickung

Buch-Cover

Nur wer aus der Zukunft lernt, kann die Gegenwart verstehen. - Als gelernter Versicherungsmensch weiß Reinhard Kocznar nicht nur die Risken einer Versicherung für die Zukunft abzuschätzen, er kann auch aus der Fiktion in der Zukunft skurrile Gegenwartsrealität schaffen.

Im Überwachungsthriller Die Erstickung schlägt sich ein so genannter Ermittler durch die durchaus handgreifliche Zukunft Europas, geht in einem Mix aus Kafkas Landvermesser und dienstlich abgeschmuddeltem Privatdetektiv Philip Marlowe absurden Aufträgen und Richtlinien nach, und erlebt dabei zwischen Cyberorgien handfesten Sex und Crime.

Schon das Ambiente ist für einen beispielsweise am Bildungsroman gereiften Leser abenteuerlich. Europa ist vermutlich wegen Tomatenüberanbau am südlichen Teil völlig vertrocknet, was wir momentan noch aus Mauretanien oder Algerien kennen, ist längst die Verfassung halb Europas geworden. Das heißt, aus einer bevölkerten und überwachten Kernzone heraus werden ständig Vorstöße und militärische Coups in einen wüsten und verwüsteten Halbkontinent hinein getätigt.

Die Beamten sind Cyborgs, also jene Mischwesen aus mechanischer Freundlichkeit und kontrollierter Schläfrigkeit, wie sie heute bereits überall in den Service-Stellen herumstehen. Für Romantiker aufschlussreich ist der Begriff Leser, der nicht etwa ein Buch lesendes Wesen meint, sondern ein digitales Zeichenerfassungsgerät. Und ausgelesen wird alles: wer mit wem, wie die einzelnen Organe des Bürgers beisammen sind, sogar den Alkoholika werden Chips eingebaut, sodass man die Leberwerte des Endverbrauchers sofort ablesen kann. Wie ja überhaupt in jedem Geldschein ein Sicherheits-Chip eingebaut ist, damit man Schwarzgeldzahlungen überwachen kann.

In diesem Ambiente erhält der Ermittler einen scheinbar trivialen Auftrag. Er soll für eine semi-kriminelle, sprich wirtschaftlich tätige Dynastie ein verschwundenes Mitglied ausfindig machen, das sich in die Outback-Zone abgesetzt hat.

Jetzt passiert zweierlei, einerseits verpufft die Realität vollends in einem digitalisierten Erfassungsrausch, andererseits kriegen die Dinge Gefühle. So verlieren Handys etwa ihr Gedächtnis (117) und wer seine Ermittler-Nase zu weit vorstreckt, dem wird die Fresse nach Manier der Fünfziger Jahre mit einem ?soft nose bullet (Bleispitzgeschoss) poliert.

?Nimm mich mit, sagte sie, du bekommst eine Begleiterin ohne Schoßhund, und ohne Chip. Drüben komme ich allein weiter. (100)

Der Verlauf der Handlung, ist in einem Kapitel-Verzeichnis abzulesen, da wimmelt es von Erwartungs-starken Begriffen wie Auftrag, Buschflug, Erstickung, Festung, Outback. Die Fiktion hält sich ähnlich einer populärwissenschaftlichen Arbeit an die Begriffe, und reißt dann den Leser doch jäh in eine abenteuerliche Seitendrift.

Das genaue Ende der Erstickung darf naturgemäß hier nicht verraten sein, aber der Thriller lässt sich mit Hingabe lesen unter dem Aspekt einer europäischen Überwachungsapokalypse. Und mit dem Gelächter abgebrühter Adventure-Hasen, die entscheidende Vermittlungsagentur heißt nicht von ungefähr wie bei einem abgetakelten Finanzminister: Tom und Jerry. - Elegante Spannung!

Reinhard Kocznar, Die Erstickung. Thriller.
Innsbruck: Edition KoCheck 2011. 768 Seiten. EUR 18,50. ISBN 978-3-9502628-3-4.

Reinhard Kocznar, geb. 1951, lebt in Innsbruck.

Helmuth Schönauer, 24-02-2011

Bibliographie

AutorIn

Reinhard Kocznar

Buchtitel

Die Erstickung

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Edition KoCheck

Seitenzahl

768

Preis in EUR

EUR 18,50

ISBN

978-3-9502628-3-4

Kurzbiographie AutorIn

Reinhard Kocznar, geb. 1951, lebt in Innsbruck.