Christoph Dolgan, Ballastexistenz

Ballast gilt in der Verdauung und im Ballonwesen als etwas Wertvolles, in der Psychologie und Soziographie allerdings als etwas Suboptimales.

Christoph Dolgan schickt in der „Ballastexistenz“ einen Ich-Erzähler vor allem auf den Balkon, von wo aus er das Leben geduckt verfolgt. Dieser Held ist Ballast auf allen Linien und empfindet sich selbst auch als überflüssig. „Ich mache keinen Mucks, fresse alles in mich hinein.“ (23)

In zwei Durchgängen fräst sich eine gigantische Schleifmaschine durch die Randexistenzen und legt dabei für den Leser desaströse Bohrkerne der Individuen frei. Der Held lebt in einer Randsiedlung bei seiner Mutter, die bei einem Discounter arbeitet. Die Zustände dort sind erbärmlich, so müssen die Angestellten eine rote Menstruationsmütze tragen, wenn sie ihre Tage haben, damit sie am WC leichter überwacht werden können.

Mutter hat daher längst zu saufen begonnen, nach der Arbeit geht es an der Tankstelle richtig los und manchmal kommt Mutter auf der Schleimspur des Erbrochenen heim. Der Held unterstützt das Trinken zu Hause, indem er fallweise Mischungen für die Mutter zusammenstellt und dabei auch selbst ins Trinken kommt.

Man kann Angst nicht hinter sich bringen, sie ist immer schon hinter einem her. (118)

Eines Tages geschieht das Unvermeidliche, Mutter stürzt und kommt nicht mehr auf die Beine. Während der Rekonvaleszenz legt sie mit den Getränken noch eine Spur nach und wird gekündigt. „Nur weil ich die Welt vergesse, hat die Welt kein Recht, mich zu vergessen“, sagt sie ganz im Sinne von Demenzkranken und stirbt.

Der Ich-Erzähler fasst seine tote Mutter im Abräumen von Bildern zusammen, von den verwahrlosten Wänden nimmt er alle Fotos ab, in der Pfanne am Herd zieht das Fett noch Schlieren um die Brösel des letzten Essens. Wenn man die Pfanne erhitzt, kann man auch die fette Erinnerung zum Verschwinden bringen.

Selbst das Open-End ist in seiner Belanglosigkeit dramatisch. In einem Dämmerzustand wird der Erzähler von der Rettung abgeholt, er ergattert aber keine Fusion, weil im Ambulaz-Wagen schon jemand liegt, der eine Infusion braucht. Wenigstens riecht es hoffnungsvoll im Rettungswagen und das Krankenhaus winkt in hellem Schein.

Christoph Dolgans Studie einer Ballastexistenz hat etwas von der lapidaren Härte eines Samuel Beckett. Alles ist reduziert auf Angst, Verlorenheit, ausgestoßen sein. Der Balkon einer Randsiedlung entwickelt sich zum Bunker gegen die Welt, worin alles zum Erliegen kommt. „Manchmal teste ich dann meinen eigenen Puls. Nur um sicher zu gehen.“ (70) – Eine makabre Geschichte, die in ihrer Ausweglosigkeit fast schon wieder lustig ist, wenn die Sprache jegliche optimistische Fasson aufschlitzt.

Christoph Dolgan, Ballastexistenz.
Graz: Droschl 2013. 150 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-3-85420-842-6.

 

Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Christoph Dolgan, Ballastexistenz

 

Helmuth Schönauer, 15-12-2013

Bibliographie

AutorIn

Christoph Dolgan

Buchtitel

Ballastexistenz

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Droschl Verlag

Seitenzahl

150

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-85420-842-6

Kurzbiographie AutorIn

Christoph Dolgan, geb. 1979 in Graz, lebt in Graz.