Christine Trüb, Sonntagmorgen

Tatsächlich sind manche Wochentage und Tageszeiten wie geschaffen dafür, helle Gedanken auszufassen, ein Sonntagmorgen verströmt geradezu verdoppelt das leise Sinnieren durch den eigenen Erinnerungsraum.

Christine Trüb stellt in ihrer Erzählung Sonntagmorgen eine Sie in die Küche und lässt sie sofort im Stil des roman nouveau darin untergehen. Dutzende kleine Partikel fesseln die Protagonistin, die Wand, die darin installierten Bilder, eine Lehrtafel aus einem Schulkabinett und schließlich diverse Dosen, Lebensmittel und Verzierungen, die alle den Befehl des Systems hinausschreien:

Öffne mich! Kauf mich! Lies mich! (11)

Tatsächlich schweift der Blick ins Gegenüber, in der Fassade sind Fenster eingebaut wie in einem Adventskalender, worin sich kleine Schicksale widerspiegeln. Wie bei Magritte sind die Gegenstände schon das Bild, das Bild die Deutung, die Deutung der Gegenstand.

Die Erinnerungs-Frau fällt bei jeder Tätigkeit in einen Schacht der Vergangenheit, als die Heldin einen Teig in das Ofenrohr schiebt, schiebt sie gleichsam einen Erinnerungs-Teig in das Rohr, um ihn ausbacken zu lassen. Während es im Ofen bäckt, stauen sich im Kopf die Geschichten.

Ein reicher Amerikaner fährt durch Europa wie durch ein Bilderbuch (39), seine Begegnung mit einer Französin wird zu einem Flash mit filmischen Sequenzen, die Geschichte springt auf die Französin über, die ihren Anteil an der Liebesgeschichte als Aufmacher für eine Illustrierte deutet.

In impressionistischen Gedichten schimmern ähnliche Sequenzen durch, was ist angelesen, was ist von der Mutter erzählt?

Sie sitzt immer noch am Küchentisch, von Bildern verfolgt, die sie zeitlebens nicht mehr loslassen werden, sie erinnert eine andere Küche jetzt und vor sich sieht sie die auf einen Schlag gealterte Bäuerin, die auf die Farbfotos aus weit entfernten Ländern blickt [...] (51)

Wie in einem Mobile halten sich die einzelnen Geschichtsteile in einem Gleichgewicht, Teile, die ganz nah an die eigene Geschichte gerückt sind lösen sich mit Ausschweifungen und Ablenkungen draußen im Freien des Jahrhunderts ab. Die Mutter will ihr Zufallskind in der Alltäglichkeit verstecken, sie umgeht eine Abtreibung, was sie bedrückt, bemerken die anderen nicht, denn Innenwelt und Außenwelt sind durch einen impressionistischen Vorhang getrennt.

Am Schluss spuckt der Ofen einen duftenden Apfel-Dings aus, die Geschichte ist für diesen Sonntagmorgen fertig gebacken.

Christine Trübs leichte Erzählung rankt sich mit dutzenden Anspielungen auf Erzähltheorien durch den Vormittag, so könnte Erinnerung ablaufen, so läuft vielleicht das Leben ab. Eine phantastische Verknotung von realistischen Dingen, ein Soufflé aus dem Backrohr der Erzählkunst.

Christine Trüb, Sonntagmorgen. Erzählung.
Innsbruck: Limbus 2014. 93 Seiten. EUR 10,-. ISBN 978-3-99039-022-1.

Weiterführender Link:
Limbus Verlag: Christine Trüb, Sonntagmorgen

 

Helmuth Schönauer, 28-11-2014

Bibliographie

AutorIn

Christine Trüb

Buchtitel

Sonntagmorgen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

93

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-3-99039-022-1

Kurzbiographie AutorIn

Christine Trüb, geb. in Berlin, lebt in Zürich.