Tomer Gardi, Broken German

Ein richtig wilder Roman kann mit einem einzigen Kapitel die pädagogisch wertvolle Sprach-Ausbildung einer ganzen Generation zunichtemachen. Wer einmal entgleistes Deutsch jenseits aller Grammatik-Hecken und Deklinations-Gebüsche erleben will, muss sich auf Broken German einlassen.

Tomer Gardi scheißt sich nichts, was der Erzähler sagen muss, sagt er mit Händen und Füssen und einer Sprache, die nur fallweise als Deutsch zu erkennen ist. So in etwa dürfte eines Tages gesprochen werden, wenn Europa durchmigriert ist. Am ehesten passt noch der Ausdruck Pidgin-German für diesen grob mit der Kreissäge aus dem Erzähl-Holz geschnittenen Scheiterhaufen des schönen Sprechens.

In unzähligen Situationen, die oft mit einer Anekdote unterlegt sind, muss sich das erzählende Ich bewähren, zuerst in der Situation und dann vor dem Leserauge. Es ist erstaunlich, wie wenig Sprache man eigentlich braucht, wenn man sich einmal auf rudimentäre Botschaften eingelassen hat. Da die Situationen ohnehin unüberschaubar und missverständlich sind, ist es letztlich egal, in welcher Sprache man darüber berichtet.

In der Startgeschichte muss der erzählende Radili wieder einmal migrieren, dabei hat er sich im Park schon halbwegs eingelebt, immerhin hat er ein Messer, mit dem er seinen Sätzen fallweise Nachdruck verleihen kann. Es geht zum Flughafen, das Messer wird ihm abgenommen und er ist plötzlich nackt und sprachlos. Nach einiger Zeit remigriert der Erzähler wieder und gräbt am Spielplatz sein Messer aus.

Die Freunde sind baff, sie haben geglaubt, das Messer sei ihm am Flughafen abgenommen worden. Nein, sagt er, er habe die Geschichte erfunden, weil sie so besser wirkt. Integration heißt in diesem Fall, dass man sich den Wünschen nach guten Geschichten fügt und so erzählt, wie es die Heimischen gerne hören wollen.

Wörter gehen beim Date verloren, wenn man sich das nächste Mal sieht, ist vielleicht schon die ganze Sprache weg. In der Kneipe taucht eine ungute Stimmung auf, weil jemand Hefe in das Bier getan hat. Ein psychologischer Schnell-Berater stößt ständig den Satz aus: Gewalt hinterlässt Spuren!

Manche Storys zeigen, wie dumm Lesebuchgeschichten sein können, wenn man sie wörtlich nimmt. Die Vorsilbe Ent-, die sich von Entmündigung bis Entmannung spannen kann, erweist sich als Urmutter der Vorsilben, zumindest in der Sprache scheint alles wertlos zu sein, was nach der Vorsilbe kommt.

Selbstverständlich überleben Floskeln am Raspel von Broken German nicht den Absatz, in dem sie ausgesprochen werden. Erst als der Erzähler betont, dass er keine Leiche im Keller hat, wird die Gesellschaft richtig wild, weil die Floskel andersrum geht, auch wenn derselbe verlogene Fakt gemeint ist.

Tomer Gardi zeigt mit seinem Roman die volle Wahrheit, die man nur zu Gesicht bekommt, wenn man die eingebildete Sprache als Bildungsgut verlässt. Letztlich ist alles ganz anders, wenn man es anders formuliert. Broken German besteht aus Bruchstücken von Meinungen, über die es keinen Konsens mehr gibt. Neben den Menschen ist vielleicht auch eine neue Sprache zugewandert und fordert ihr Menschenrecht auf Verständnis ein. - Grotesk brisant.

Tomer Gardi, Broken German. Roman
Graz: Droschl Verlag 2016, 144 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-85420-979-9

 

Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Tomer Gardi, Broken German
Wikipedia: Tomer Gardi

 

Helmuth Schönauer, 08-11-2016
 

Bibliographie

AutorIn

Tomer Gardi

Buchtitel

Broken German

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Droschl Verlag

Seitenzahl

144

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-85420-979-9

Kurzbiographie AutorIn

Tomer Gardi, geb. 1974 im Kibbuz Dan, lebt in Tel Aviv.