Lesekompetenz laut PISA Studie 2003 stark gesunken

Ein Fünftel aller getesteten 15- bis 16-Jährigen sind nicht in der Lage einen Text fließend zu lesen oder den Sinn des Gelesenen wieder zu geben. Vor allem die Leseleistung der Burschen ist signifikant zurück gegangen.

Seit 7. Dezember sind die Ergebnisse der PISA-Studie 2003 öffentlich zugänglich. Bereits Wochen vor der offiziellen Präsentation der Studie, wurde von den Medien und den politischen Parteien bereits eine teils heftige Diskussion über den Einbruch der Grundkompetenzen der österreichischen Schüler in den Bereichen Lesen, Naturwissenschaften und Mathematik in Gang gesetzt. Ähnlich wie vor drei Jahren in Deutschland erhielt auch in Österreich das Bild von der „Kulturnation“ unübersehbare Risse.

40 Länder nahmen an der PISA Studie 2003 teil und Österreich belegte beim Lese-Test unmittelbar hinter Deutschland Rang 22. Von der Anzahl der Punkte liegt Österreich (491 Punkte) nur knapp unter dem OECD-Schnitt (494 Punkte). Im Vergleich der OECD-Staaten landete Österreich auf Rang 19.

Die Spitzengruppe beim Lesen blieb seit PISA 2000 gleich. Finnland, Kanada, Neuseeland, Australien, Irland und Korea führen die Länderwertung auch 2003 wieder an. Im Vergleich dazu ist der Absturz Österreichs von Platz 10 auf 19 auffallend stark ausgefallen. Erreichten die österreichischen Schülerinnen und Schüler bei PISA 2000 einen Lesemittelwert von 507 Punkten, fiel der Wert 2003 auf 491 Punkte.

Der Schüleranteil bei Spitzenleistungen im Lesen (Leistungsstufe 5) lag in Österreich mit 8% halb so hoch wie beim Spitzenreiter Neuseeland mit 16%. Fast alle guten LeserInnen sind in den höheren Schulen zu finden. 62 % aller AHS SchülerInnen und 45% aller BHS SchülerInnen gehören zu den besten zwei Kompetenzstufen.

Der Anteil der österreichischen Schüler in der Leistungsstufe 1 und darunter lag bei 20%. Zu dieser Risikogruppe heißt es in der Pressaussendung von PISA-Austria: „Es darf bezweifelt werden, dass diese Schüler/innen zum Verstehen alltäglicher, einfacher Texte ausreichend befähigt sind – ihre Fähigkeit zum selbstständigen Bildungserwerb ist auf jeden Fall durch die schwache Lese-Kompetenz sehr stark eingeschränkt.“

1/5 aller österreichischen Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs kann trotz 8 bis 9 Jahren Schulbesuchs laut PISA nicht ausreichend fließend lesen und den Sinn des Gelesenen verstehen. Der Anteil an Schülern an den untersten Kompetenzstufen („Lese-Risikoschüler/innen“) liegt in den Polytechnischen Schulen bei 54% und den Berufsschulen bei 39%.

Der Anteil der SchülerInnen welcher der "Risikogruppe" im Bereich Lesen zugerechnet wird, ist von 14% auf 20% angestiegen. Es handelt sich dabei um den drittgrößten Anstieg aller Vergleichsländer. Ähnlich wie bereits in der PISA-Studie 2000 konnte auch 2003 ein großer Unterschied in der gemessenen Lesekompetenz zwischen Mädchen und Burschen festgestellt werden. Im Spitzenfeld liegen Island (58 Punkte), Norwegen (49 Punkte) und Österreich (47 Punkte). Die Differenz zwischen Mädchen und Burschen vergrößerte sich in Österreich in den letzten drei Jahren mit 22 Punkten von allen Vergleichsländer am meisten.

Ursache dafür ist nicht eine Verbesserung der Leseleistung bei den Mädchen, sondern der Abfall des Lesemittelwerts bei den Burschen von 495 auf 467 Punkte.
Dazu heißt es in der Presseaussendung: „Dieses starke Zurückfallen der Burschen im Lesen, das auch noch messbare Konsequenzen in anderen Fächern nach sich zieht, muss in der Schulpolitik und Didaktik unbedingt Beachtung finden.“

„[...] Österreich vergötzt den Sport und verachtet jede Art geistiger Leistung. Das ist gesellschaftliche Norm und wird schwer zu durchbrechen sein. Dieses Land hat immer seine besten Geister und Künstler vertrieben, noch in den 70er-Jahren die wichtigsten Künstler in die Emigration getrieben und kriminalisiert. Wie kann man da erwarten, dass intellektuelle oder künstlerische Leistung überhaupt einen Wert darstellen sollen? Man weiß ja gar nicht, wo man überhaupt anfangen könnte, etwas zu kritisieren, wenn immer noch die Gegenreformation marschiert. Kinder werden noch in der Volksschule für ihren späteren Lebensweg buchstäblich selektiert, nur damit diese katholisch geprägte feudalistische Klassengesellschaft ihre Existenzlüge der auserwählten (und in meist katholischen Privatschulen erzogenen) Elite und des ungebildeten Fußvolks aufrechterhalten kann [...].“
Der Standard 06-12-04; E-Mail von Elfriede Jelinek

 

Christine Nöstlinger hält in einem Kommentar zum Ergebnis der PISA-Studie 2003 Leseförderung für ziemlich sinnlos. Auch Kinder jetzt verstärkt zum Lesen von Kinderbüchern zu animieren erscheint ihr ein ungeeignetes Mittel zu sein:

 „[...] Erst wenn die Lesekompetenz ausreichend vorhanden ist, kann ein Kind ein Buch wirklich lesen. Ohne diese Fähigkeit ist das Lesen schierer Frust und lästige Plage, und selbst sturer Lesedrill brächte keine Kompetenz. [...] Zum korrekt gelesenen Wort entsteht im Kopf ein Bild. Und das Bild entsteht wahrscheinlich deshalb nicht, weil wir in einer Zeit leben, in der die Bilder die Wörter dominieren. Lauter fix und fertige Bilder, die keiner Vorstellungskraft bedürfen, um ‚genossen’ zu werden.

[...] Es ginge also schlicht und einfach darum, diesen Kindern Beschäftigungen anzubieten, die ihre Fantasie, ihre Kreativität und ihre Neugier fordern, ihr selbstständiges Denken fördern und ihr Selbstwertgefühl stärken. Wetten, dass sich dann die gewünschte "Lesekompetenz" wie von selbst ergeben würde. [...] Darüber zu räsonieren, dass die Herren und Damen Eltern ja auch das ihre dazu beitragen könnten, ihre Kinder kompetent zu machen, ist so lächerlich wie müßig. Die Eltern, die dazu in der Lage sind, tun es ohnehin, und erfreuen sich ihrer cleveren Kinder, und der unfähige oder unwillige Rest wird sich durch Anmahnung garantiert nicht ändern [...].“
Der Standard 07-12-04, Kommentar der anderen: Christine Nöstlinger, Die Blitzgneißer- Blockade

Was immer vom Ergebnis der PISA-Studie, von einem weltweiten Leistungstest von Schülern oder von einer "Nationenwertung im Bildungsbereich" zu halten sein mag, darüber lässt sich diskutieren. Dass die Studie aber Bewegung in die Schulpolitik gebracht hat, und dass sogar die große Parteien öffentlich ankündigen, sich Änderungen im Schulwesen nicht sperren zu wollen, wäre wohl ohne PISA-Studie nur schwer vorstellbar.

 

Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 07-12-2004

Redaktionsbereiche