Michael Krüger, Hellwach gehe ich schlafen

kr%C3%BCger_hellwach.jpgAus der Sammlung eines Meisters Gedichte auszuwählen, hat vor allem den einen Sinn, diese in der neuen Zusammenstellung mit neuem Licht zu versehen, wie man ja auch oft als Leser seine Bücher für ein aktuelles Regal zusammenstellt, um diesen besondere Liebe und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Hellwach gehe ich schlafen ist durchaus als Lebensmotto zu lesen, mit dem Michael Krüger unauffällig neben der Verleger-Arbeit sein eigenes Programm abgewickelt hat. In der Master-Sammlung aus vierzig Jahren sind die wichtigsten Texte geordnet unter den Lichtstreifen: Wie Gedichte entstehen / In diesem Haus ist Platz für vieles / Die Helligkeit ist endlich bereit / Ein flüchtiges Testament.
Vielleicht lassen sich diese Kapitel wie die Jahreszeiten eines Lyrikers lesen, es geht um das Verfassen der Gedichte aus dem Nichts, die Einordnung der Gedichte in einem lose vorgegebenen Literaturkonstrukt, das Ausleuchten abseitig gelegener Gebiete und schließlich um den Versuch, etwas wie ein zeitloses Vermächtnis zu formulieren.

Wir haben meine Kindheit nachgestellt / mit unscheinbaren Dingen.
Es ist nichts passiert, was sich aufschreiben ließe.
Große schwarze Vögel / besetzen seit Tagen das Land. / Sie nehmen uns, ungerührt, das Wort aus dem Mund.

Aus dem Nichts und ansatzlos kommen die Gedichte, und schon nach zwei Zeilen ist klar, wie wichtig sie sind. Gerade diese Einsätze aus der lyrischen Hüfte heraus machen Michael Krüger unverwechselbar.

Immer wieder scheint sich in der Schlaflosigkeit ein Traum abzusetzen, einmal sitzt Claude Simon mit grün-üblem Gesicht neben dem lyrischen Ich und sagt nichts, außer dass er wohl die Georgica neu schreiben müsse.

Gerade als sich so etwas wie ein Liebesgedicht in die Sammlung schlängelt, stellt sich heraus, dass es ein Auftragsgedicht ist, für wen, wozu? Kann die Liebe ein Gedicht in Auftrag geben?

Und vor allem die unscheinbaren Bäume, die Seitenstreifen eines Gartens, oder ein Strauch, der nicht hingehört, haben es dem lyrischen Auge immer wieder angetan, wenn es scheinbar hellwach über die Fläche grast. Der Tod einer Birke wird mit ähnlichen Worten besungen, mit welchen man sich von einer Epoche verabschiedet.

Eine neue Zeitrechnung beginnt, das Jahr nach dem Tod der Birke. (109)

An anderer Stelle liest eine Frau im Schatten, die Sprache ist in Dunkelheit abgetaucht, sie liest etwas über Tote, die lächeln, wenn sie sehen, dass wir an sie denken. (128) Und dann bleibt auch dem lyrischen Ich der Auszug nicht erspart.

Jetzt sind die Zimmer leer, die Koffer / stehen im Flur neben mürrischen Kisten / in denen Bücher mit Zeitungen kämpfen / [...] // Wie stark die Leere riecht! Eine Fliege / dreht ihre Runden und fotografiert, / ein Engel mit schwarzer Fahne / vernarrt in seine summende Liturgie. (157)

Michael Krügers Gedichte sind Setzsteine eines geheimnisvollen Spieles, man kann sie immer neu auslegen und wird dennoch von ihnen eingekreist und sachte besiegt.

Michael Krüger, Hellwach gehe ich schlafen. Hundert Gedichte, ausgewählt von Hans-Ulrich Müller-Schwefe
Berlin: Suhrkamp Verlag 2016, 188 Seiten, 14,40 €, ISBN 978-3-518-46722-0


Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Michael Krüger, Hellwach gehe ich schlafen
Wikipedia: Michael Krüger


Helmuth Schönauer, 17-12-2016

Bibliographie

AutorIn

Michael Krüger

Buchtitel

Hellwach gehe ich schlafen. Hundert Gedichte

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Suhrkamp Verlag

Herausgeber

Hans-Ulrich Müller-Schwefe

Seitenzahl

188

Preis in EUR

14,40

ISBN

978-3-518-46722-0

Kurzbiographie AutorIn

Michael Krüger, geb. 1943 in Wittgendorf, lebt in München.