Andrea Wolfmayr, Vom Leben und Sterben des Herrn Vattern, Bauer, Handwerker und Graf

Titelbild: Andrea Wolfmayr, Vom Leben und Sterben des Herrn Vattern, Bauer, Handwerker und Graf„Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion! – Es riecht nach Nieren. – Was wird bleiben? - Fetzen!“

Andrea Wolfmayr legt von Anfang an klar, dass es in diesem Roman mit den Beteiligten bergab geht. In einem fast pervers-dichten Kammerstück wohnen die Erzählerin Magdalena, ihr Mann Sepp und der alte Vati in Kleinhäusler-Position dicht an dicht aufeinander.

In einem Verzweiflungstagebuch notiert die Erzählerin den allmählichen Verfall ihres Vaters, der erst spät die offizielle Diagnose Parkinson erfährt, bis dahin gilt er als wunderlich, vergesslich und unberechenbar. Die Tochter beschreibt die Vorgänge in Miniaturen des Verfalls. Oft genügen zwei drei Tage Pflegeflucht, um den Verfall besonders deutlich vor Augen zu haben.

Während der Verlöschungsprozess sich über drei Jahre hinzieht, macht die Erzählerin so ziemlich alle Stufen der Verwunderung und Verwundung durch. Zuerst ist sie noch verblüfft, wie positiv in sogenannten Pflegeratgebern das kaputte Leben und das Sterben dargestellt wird. Dann kommen persönliche Schuldgefühle auf, ob sie sich nicht hätte früher abwenden müssen, schon aus Gründen des Selbstschutzes, und am Schluss bleibt schließlich eine existentielle Wut-Orgie übrig. Der barocke Titel fällt Magdalena ein, als sie die diversen Stationen der Gewalt von Kindheit an und den Familienfaschismus Revue passieren lässt.

Die Empathie der Leserschaft liegt eindeutig bei der Erzählerin, die lapidar feststellt, ich trinke, sich in Therapie begibt und mit gutgemeinten Wortüberbrückungen wieder am Schutzwall des Dementen abprallt. So viel Vergesslichkeit kann man doch gar nicht spielen, denkt sie sich.

Das Erlebnisbuch vom Verwesen wird eisern durchgehalten. Als sich einmal das erzählende Ich nach einem Bandscheibenvorfall vor Schmerzen windet, wird die Erzählposition in sie, Manuela, gewechselt, als ob man so aus der eigenen Schmerzens-Haut heraustreten könnte. (65)

Geradezu hilflos sind die Abwehrmaßnahmen gegen den permanenten Uringeruch, Manuela und Sepp mauern sich unter Dach in einer kleinen Wohnung ein, aber der Vater aus dem Parterre stinkt so erbärmlich, dass auch dies keine Lösung ist. Er ist noch immer nicht gestorben! Wie ein Fluch hängt dieser Seufzer an den Wänden. - Und endlich, als schon jedes Zeitgefühl für alle verlorengegangen ist, stirbt der Vater, helft mir sagt er noch, von seiner früheren Allmacht ist nichts mehr übrig.

Andrea Wolfmayers Roman geht ohne Schnörkel stracks in jene Tabuzonen, die vor allem in der Unterhaltungsliteratur schroff ausgegrenzt werden. Aber die handfeste Literatur muss auch ins Düstere und Zerborstene hineinleuchten, quasi als letzter Hilfstrupp, wenn alles andere schon versagt hat.

Andrea Wolfmayr, Vom Leben und Sterben des Herrn Vattern, Bauer, Handwerker und Graf. Roman
Graz: Edition Keiper 2016, 359 Seiten, 24,00 €, ISBN 978-3-902901-17-0


Weiterführender Link:
Edition Keiper: Andrea Wolfmayr, Vom Leben und Sterben des Herrn Vattern, Bauer, Handwerker und Graf
Wikipedia: Andrea Wolfmayr

 

Helmuth Schönauer, 07-12-2016

Bibliographie

AutorIn

Andrea Wolfmayr

Buchtitel

Vom Leben und Sterben des Herrn Vattern, Bauer, Handwerker und Graf

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

359

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-902901-17-0

Kurzbiographie AutorIn

Andrea Wolfmayr, geb. 1953 in Gleisdorf, lebt in Gleisdorf.