Andrej Platonow, Die Baugrube

Titelbild: platonow die baugrubeEin Dreißigjähriger wird wegen wachsender Kraftschwäche entlassen, er geht nach draußen, um an der Luft besser seine Zukunft zu verstehen.

Andrej Platonow hält sich mit seinem Roman „Die Baugrube“ nicht lange im Arbeitermilieu auf, sondern schreibt gleich einen Schöpfungsbericht des modernen Menschen, der 1931 nicht umsonst das Missfallen Stalins auslöst. Der Roman muss verschwinden und mit ihm verschwindet auch die beste sowjetische Literatur, wie der Nobelpreisträger Joseph Brodsky wehmütig bemerkt.

Tatsächlich kann man die Geschichte des dreißigjährigen Woschtschew wie eine Bibel vom Arbeiter-Jesus lesen, er muss sich nach seiner Entlassung neu orientieren, schläft in Baracken und arbeitet an einer Baugrube, deren Sinn niemand versteht. Wahrscheinlich wird in der Grube einmal ein Haus stehen, es kann aber sein, dass man dieses Haus nach unten baut, damit es oben niemand sieht. Die Baupläne jedenfalls erweisen sich als „Dokumente der planlosen Erschaffung der Welt“. (56)

Die Beteiligten werden mit Parolen, hohlen Sätzen und transzendenten Floskeln bei Laune gehalten, was aber nur schwer gelingt, denn insgeheim wünschen sich alle einen schnellen Tod. Zwischendurch schwappt eine große Bewegung über das Land, Vertriebene strömen an die Baugrube, andere strömen ins Land hinaus, um genug Menschen als Nachschub zu vertreiben.

Einem Mädchen stirbt die Mutter unter dem Kopf weg, es hat diese vor allem als Kopfpolster benützt, denn es gibt nichts mehr zu essen und zu planen. Die letzte Weisheit der Mutter lautet: „Geh weit weg von hier und vergiss dich dort selbst, dann bleibst du am Leben.“ (62) Dann dreht sie sich um und stirbt mit dem Gesicht nach unten.

Im Land herrscht plötzlich eine neue Ordnung, so hat sich ein Bär zum Schmied ausbilden lassen und zeigt den menschlichen Würmern, wie man an der Esse arbeitet. Überall sind sogenannte Lesehütten eingerichtet, wo es frischen Nachschub an Literatur und Parolen gibt.
Auch an der Baugrube interessiert bald niemanden mehr, was daraus werden soll, vielleicht ist diese Grube auch nur der Tummelplatz für einen großen Schöpfungs-Film, der ohne Regie nach großen Sätzen gedreht wird. Wichtig ist, dass immer genug Särge zur Verfügung stehen, denn Tote gibt es immer wieder.

Andrej Platonow verwurstet in seinem Roman die Alltagssätze der Partei und des aktuellen Fünfjahresplanes um 1930 herum. Die Sätze sind allesamt falsch und richtig, im Zweifelsfalle setzt sich das Bürokratische gegen das Innovative durch, der Plan gegen das Logische. Die Helden sprechen verkürzt und klar wie Comics-Figuren, wenn es nicht so tödlich wäre, könnte man von einem Riesen-Kabarett sprechen, das an der ewigen Baugrube aufgeführt wird.

Andrej Platonow, Die Baugrube. Roman, a. d. Russ übersetzt, mit Kommentaren und einem Nachwort versehen von Gabriele Leupold, mit einem Essay von Sibylle Lewitscharoff. [Orig.: Kotlovan, 1930]
Berlin: Suhrkamp Verlag 2016, 240 Seiten, 24,70 €, ISBN 978-3-518-42561-9


Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Andrej Platonow, Die Baugrube
Wikipedia: Andrej Platonow

 

Helmuth Schönauer, 04-01-2017

Bibliographie

AutorIn

Andrej Platonow

Buchtitel

Die Baugrube

Originaltitel

Kotlovan

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Suhrkamp Verlag

Übersetzung

Gabriele Leupold

Seitenzahl

240

Preis in EUR

24,70

ISBN

978-3-518-42561-9

Kurzbiographie AutorIn

Andrej Platonow, geb. 1899 bei Woronesch, starb 1951 in Moskau.