Peter Reutterer, World Wide und auf der anderen Seite

Wenn man mit der Maus bedächtig genug unterwegs ist, erscheinen einem die einzelnen Web-Seiten fallweise wie Gedichte.

Peter Reutterer lässt sein lyrisches Ich wie eine Maus durch diverse poetische Räume kreisen, was sich dabei auftut sind Schlagzeilen, Notizen, Sprichwörter, Lebenserfahrungen und Gedichte, knapp an der Schwelle hin zur Prosa. Logischerweise heißen die aufgesuchten Felder: In der Nähe (3), In der Ferne (61), Überall (111) und Intim (139).

Die Kompositionsmethode lässt sich vom Titel ableiten, einerseits ist die Welt als Oberfläche des Netzes zu sehen, und gleichzeitig tut sich dahinter ein Tiefgang auf, der auf die andere Seite der Oberfläche führt.

Manche Gedichte lassen sich daher „erzählen“, wenn etwa die Bundesforste sich selbst ausschildern und darauf aufmerksam machen, dass sie ein Stück Natur sein möchten. An anderer Stelle des Waldes macht sich ein grüner Jäger Sorgen um den ökologisch einwandfreien Tod des Wildes und verwendet bleifreie Munition. Und das vollkommene Glück tut sich auf, wenn eine Almhütte in Stille „ansitzt“ und der Hansi-Hinterseer-Song als akustische Antimaterie geräuschlos bleibt.

Das Gegenteil der Nähe im Wald ist die Stadt Berlin, die allein schon mit ihren U-Bahn-Garnituren pausenlos Poesie ausspuckt. Zwischen dem Business der Garnituren tun sich bettelnde Hände auf, in manchem Antlitz hat sich das Elend niedergelassen, wenn man es denn zu Gesicht bekommt.
Auf allen Kanälen taucht Woody Allen auf und stellt immer wieder frische Filme vor. Er hat nichts Anderes gelernt, als Filme zu drehen und kann nicht aufhören damit. Der Tod ist überall und jederzeit zu Hause, vor dem Netz und mitten darin.

Vor Weihnachten // Derzeit sterben allerlei Leute / sagte der junge Mann // zuerst Udo Jürgens / an seinem Geburtstag / dann Joe Cocker / an Lungenkrebs // und die Katze von Mona / ist im Nachbarteich ertrunken (131)

Selbst im intimen Bereich geht es in brutal logisch zu, wenn die Poesie einmal ihren zärtlichen Liebes-Charme verloren hat. Der Ehemann hat eine Affäre mit einer verheirateten Frau und ist letztlich wütend, weil diese fremdgeht. An anderer Stelle ist die Ehe-Welt mit Mausklick wieder in Ordnung.

Glücksfall // Wie gut dass du / keinen Geschlechtstrieb hast // sagt die Ehefrau / zu ihrem Mann (165)

Peter Reutterer hat einen vorläufigen Blick für seine Texte entwickelt, die Begebenheiten sind oft so klein, dass sie schon fertig sind, ehe die passende poetische Form dafür gefunden werden kann. Diese Notate ermuntern das Publikum, selbst einmal in die Rolle einer Maus zu schlüpfen und das eigene Erlebnisfeld abzuscannen, und siehe, die Welt ist voll von Pixeln, Szenen und Notaten, die für sich genommen erstaunlich vollendet sind.

Peter Reutterer, World Wide und auf der anderen Seite. Gedichte mit Geschichten
Gosau: arovell Verlag 2016, 184 Seiten, 14, 90 €, ISBN 978-3-902808-87-5

Weiterführende Links:
Arovell Verlag: Peter Reutterer, World Wide und auf der anderen Seite
Wikipedia: Peter Reutterer

Helmuth Schönauer, 11-01-2017