Joey Comeau, Überqualifiziert

titelbild: Joey Comeau, ÜberqualifiziertÜberqualifiziert ist in der Arbeitswelt eine elegante Umschreibung für Kotzen. Wenn jemand keinen Zugang zur Arbeit findet, beschreibt man ihn beschönigend als überqualifiziert, damit er nicht gleich alles hinschmeißt, sondern sinnlos weitersucht.

Joey Comeau beschreibt diesen quälenden Zustand „überqualifiziert“ mit einem Briefroman. Jemand mit der Unterschriftskraft des Autors verfasst ununterbrochen Bewerbungsschreiben und entdeckt dabei, dass sich so der Sinn des Lebens und der Unsinn der Arbeit brauchbar darstellen lassen.

Der Arbeitssuchende hat keine Hemmungen, die größten Wirtschaftsgiganten anzuschreiben, zumal man es ja nur mit anonymen Personalbüros zu tun hat und jede Firma letztlich ein Phantom ist, das sich als Label verkleidet. So stehen IBM und Levi Strauss genauso auf der Anschreibliste wie Absolut Vodka und die New York Times.

Das Anpirschverfahren an diese Giganten ist immer ähnlich. Zuerst wird eine miese Qualifikationseigenschaft herausgehoben wie etwa Steuerhinterziehung, Mobbing oder Aggressivität, welche dann in den Vordergrund der Firmenphilosophie gestellt wird. Alsdann gibt der Bewerber zu bedenken, dass er sich diesen Scheiß nicht antun wird, weil er ohnehin überqualifiziert ist. Als eigentliche Botschaft wird eine Episode aus dem bisherigen Lebenslauf geschildert, die zeigen soll, wie das wirkliche Leben abläuft, wenn es nicht von den Phantomschmerzen der Arbeit lahmgelegt wird.

Den Firmen wird ein Spiegel vorgehalten, worin sie als hässliche, verlogene Börsenfratzen erscheinen. Eine Bewerbung für Apple für ein Programm zur Sprachverarbeitung mündet in der schönen Analyse:

Spät nachts, betrunken, verändert sich unsere Sprache. Am Tag esse ich einfach ein Stück Obst, aber nachts, wenn meine Freundin Susan schläft, erzähle ich einer anderen Frau, wie meine Zähne die Schale durchbohren. (47)

Was hier als Stück sinnloses Unterbewusstsein in die Arbeitswelt drängt, zeigt das Dilemma der Gesellschaft. Mit allerhand Lügen und Scheinvorgaben wird ein Lebenssinn suggeriert, der eigentlich ganz anders lauten müsste:

Wir können die Welt zu einem besseren Ort für die Gebrochenen machen. (48)

Skurril wird dieses Programm, wenn man sich an emotionale Labels wendet wie Santa Claus oder die New Yorker Polizei. Offiziell dem Guten verpflichtet, bauen diese Einrichtungen den gleichen Scheiß wie sonstige Firmen. Wenn alle auf der Welt überqualifiziert sind, dann rutscht die Arbeit quasi unter den Sinnesorganen für die Aufmerksamkeit durch.

Jede einzelne Bewerbung erzählt ein Stück Lebensmöglichkeit, die aber von den diversen Leitbildern der Firmen schon während der Bewerbung eingedämmt oder ausgeschaltet wird. Der Ich-Erzähler zieht alle Register der Motivation, er äfft alles nach, was man ihm in psychologischen Schulungen und an Bewerbungsinstituten beigebracht hat. Letztlich bleibt nur eine Konsequenz, dass nämlich nach drei Kapiteln dramaturgisch sauber geordneten Bewerbungsablaufs das letzte Kapitel eine eigene Überschrift kriegt: Ende. Und ein Punkt danach, sonst nichts.

„Überqualifiziert“ ist ein dystopischer Roman, worin sich die Arbeitswelt sarkastisch vom Individuum verabschiedet hat.

Joey Comeau, Überqualifiziert. Roman, a. d. Engl. von Tobias Reußwig [Orig.: Overqualified, Toronto 2009]
Wien: Luftschacht Verlag 2018, 97 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-903081-20-8


Weiterführende Links:
Luftschacht Verlag: Joey Comeau, Überqualifiziert
Wikipedia: Joey Comeau (engl.)

 

Helmuth Schönauer, 07-05-2018

Bibliographie

AutorIn

Joey Comeau

Buchtitel

Überqualifiziert

Originaltitel

Overqualified

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Luftschacht Verlag

Übersetzung

Tobias Reußwig

Seitenzahl

97

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-903081-20-8

Kurzbiographie AutorIn

Joey Comeau, geb. 1980, ist ein kanadischer Schriftsteller.

Tobias Reußwig, geb. 1989 in Hagen, lebt in Greifswald.