Andreas Kurz, Der Blick von unten durch die Baumkrone in den Himmel

Titelbild: Andreas Kurz, Der Blick von unten durch die Baumkrone in den HimmelImmer wieder wird der Vergleich herangezogen, dass lesen eigentlich gehen bedeutet, wenn es um einen Zustand geht, der eigentlich ein Zoom ist.

Andreas Kurz „umschreibt“ eine Sommer-Wanderung von Wien nach Budapest. Aber es geht hier nicht um einen Routenplaner, einen Wanderführer oder historische Abrisse, wiewohl diese Elemente vorhanden sind, es geht um diesen Zustand, der beim Gehen entsteht und der sich transformieren lässt in jenen Text, der uns Leser in den Geh-Zustand versetzt. Nicht umsonst wird einmal Peter Handke zitiert.

Eine Lebensart immerhin habe ich geschaffen: das Gehen. (84)

Manches dieser Reise ist so gewöhnlich, dass es zuerst gar nicht auffällt, dass hier nichts anderes erzählt wird als das Verschwinden der Erzählung. Wie bei den Romantikern bleibt allmählich nur eine Schaurichtung übrig, in die langsam verschiedene Erinnerungen einsickern.
Am Auffälligsten sind es die verflossenen Liebschaften, der Ich-Erzähler ist gerade Richtung Weite mit Blick durch die Baumkronen unterwegs, da handelt er verschiedene Szenen ab, die er mit seinen Freundinnen erlebt hat. Oft ist es auch eine vordergründige Assoziationskette, die tolle Reflexe auslöst. Als etwa die ungarischen Staatsbahnen MAV mit besonders altem Wagenmaterial unterwegs sind, fällt ihm der letzte Geschlechtsverkehr mit Irma ein.

Je genauer man Irma anschaut, desto weniger ist es Irma. (126)

Oft handeln kurze Gespräche von jenem Aneinander-Vorbeigehen, das sich erst im Kopf entfaltet, wenn die Begegnung schon längst vorbei ist. Da der Erzähler perfekt Ungarisch spricht, kann er den Sound des Landes aufsaugen, obwohl der Inhalt der Gespräche nur von dem Wohlbefinden handelt, das der Alltag zu verströmen weiß, wenn man sich damit abgefunden hat.

Irgendwann lässt es sich dann auf den Balaton hinunterschauen, der zumindest als Ziel sofort wieder verschwunden ist, wenn man sich davon abwendet und Richtung Budapest geht. Ab und zu sind so historische Anekdoten eingestreut, dass etwa Bratislava erst seit 1919 so heißt, nämlich „slawische Brüder“. Sonst ist von Politik wenig zu spüren, die berühmte Stacheldrahtstelle, wo A. Mock einst den Osten aufgesprengt hat, ist nur mehr als Gedenkstätte vorhanden. Die Gegenwart ist während des Gehens so dicht und poetisch, dass Politik keinen Platz darin hat, es handelt sich ja auch um keine Reportage, sondern um eine Schule des Gehens und Sehens.

Tatsächlich ist die Umschreibung der Sinn des Umschriebenen. Vor Gericht würden alle wahnsinnig werden mit so einer Zeugenaussage einer Reise. Aber Andreas Kurz hat seinen Ich-Erzähler stets unter Kontrolle und wendet diesen immer wieder in Richtung Leser, der dem Text hinterher schnauft, als ob er ihn selbst ergangen wäre.

Andreas Kurz, Der Blick von unten durch die Baumkrone in den Himmel. Eine Umschreibung
Graz: Droschl Verlag 2017, 261 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-85420-986-7


Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Andreas Kurz, Der Blick von unten durch die Baumkrone in den Himmel
Homepage: Andreas Kurz

 

Helmuth Schönauer, 07-02-2017

Bibliographie

AutorIn

Andreas Kurz

Buchtitel

Der Blick von unten durch die Baumkrone in den Himmel. Eine Umschreibung

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Droschl Verlag

Seitenzahl

261

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-85420-986-7

Kurzbiographie AutorIn

Andreas Kurz, geb. 1980 in Attnang-Puchheim, unterrichtet derzeit in Moskau.