Stanislav Struhar, Die Verlassenen

Stanislav struhar, die verlassenenWenn ein Autor einmal seine Erzählmelodie gefunden hat, braucht er nur zwei drei Fügungen anklingen zu lassen, und schon geht es für den Leser in voller Stimmung weiter, wo er vielleicht im letzten Sommer aufgehört hat.

Stanislav Struhar schickt seine Helden, die er dieses Mal „Die Verlassenen“ nennt, wieder auf die Hügel rund um das Sprachengemisch von Ventimiglia. Im Grenzgebiet zwischen Italien und Frankreich ist jeder irgendwie heimisch, egal welche Sprache er spricht.

Der Held Gabriel kommt aus Wien und löst überall das zustimmende Nicken aus, wenn er Österreicher sagt. Er hat einen alten Adresszettel von seinem Vater, aber die Adresse stimmt nicht mehr, Vater hat wieder das Revier verlassen, auch er ist wohl ein ständig Herumziehender. Man will ihm helfen, den Vater zu finden, aber es ist nicht notwendig, sagt Gabriel, was sich nicht von selbst ergibt, ergibt sich nie.

Den Kosmos von Ventimiglia stellt man sich am besten als südliche Landschaft vor, worin sich die Menschen leicht und luftig tummeln. Alles geschieht wie von selbst. Gabriel findet seine Freundin Simonetta, er wird der Familie vorgestellt, manchmal fällt eine leichte Tätigkeit in einem kleinen Laden an. Natürlich gibt es manchmal einen überschaubaren Tumult, wenn die Asylwerber in fremden Sprachen laut durch die Altstadt ziehen, die Polizei hinterher. Und jeden Tag geht es ans Meer, unter die Bäume, in die Gärten, jeden Tag gibt es frisches Obst und Ausfahrten mit dem Moped.

Da muss der Großvater ins Krankenhaus, geht schon wieder, nicht schlimm, aber er stirbt. Man trauert und seufzt, er fehlt natürlich, weil die Geschichten jetzt anders erzählt werden, seit er nicht mehr da ist.

„Bist du ausgewandert“, fragt jemand, und Gabriel meint: „Kann man so sagen.“ (91)

Jetzt hat Simonetta einen Gips, weil sie einen leichten Arbeitsunfall erlitten hat, es heilt alles wie von selber, etwas später ist sie schwanger. Ich bin jetzt schon über ein Jahr hier, meint Gabriel.

Stanislav Struhar erzählt von einer Idylle, die auf den ersten Blick leicht und logisch ist. Die Verlassenen sind nie verloren, sie tragen unter der Haut ein Regelwerk der Menschlichkeit, das zur Wertschätzung führt. Es macht einen Unterschied, wer in welcher Sprache angesprochen wird, ein Sprachwechsel zur falschen Zeit kann Misstrauen auslösen, vielleicht steckt sogar ein Seitensprung dahinter.

Natürlich kocht es zwischendurch auch in den Seelen, die in der Stadt herumschwirren, mal als Touristen verkleidet, dann wieder ganz bodenständig. Aber die täglichen Rituale bewirken, dass die Schwermut zumindest täglich vertrieben wird. Wenn man es richtigmacht, sind die Verlassenen die, welche das falsche Leben verlassen haben. – Romantisch, impressionistisch, schwermütig leicht!

Stanislav Struhar, Die Verlassenen. Roman
Klagenfurt: Wieser Verlag 2017, 140 Seiten, 18,40 €, ISBN 978-3-99029-227-3


Weiterführende Links:
Wieser Verlag: Stanislav Struhar, Die Verlassenen
Wikipedia: Stanislav Struhar

 

Helmuth Schönauer, 19-03-2017

Bibliographie

AutorIn

Stanislav Struhar

Buchtitel

Die Verlassenen

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Wieser Verlag

Seitenzahl

140

Preis in EUR

18,40

ISBN

978-3-99029-227-3

Kurzbiographie AutorIn

Stanislav Struhar, geb. 1964 in Gottwaldov (Zlin), lebt in Wien.