Alfred Gelbmann, Vorläufig Lübeck

alfred gelbmann, vorläufig lübeckWoraus besteht eigentlich ein guter Roman? - Aus Roman!

Alfred Gelbmann bringt im Erzählprojekt „Vorläufig Lübeck“ eine Biographie zum Vorschein, worin Autor, Held und fiktionales Vorbild heftig miteinander vermischt sind. Vereinfacht könnte man sagen, jemand liest innig Gustave Flauberts satirischen Roman Bouvard und Pécuchet, worin sich die Figuren über sich selbst so lange lustig machen, bis sie aus dem Roman verschwinden und wieder die Rolle von Kopisten annehmen müssen.

Ein gewisser Moser trägt Tag und Nacht diesen Roman mit sich herum und versucht, sich aus dem eigenen Leben zu befreien, indem er es beschreibt. Als gebürtiger Linzer aus der Stahlwerk-verseuchten Muldenstraße will er nur eins: weg. Als Ziel dient Lübeck, aber wie bei allen brauchbaren Lebenszielen muss man es verfehlen, um es andersrum zu erreichen. Moser kommt natürlich nie nach Lübeck.

Im Gegenteil, einen großen Teil seines Lebens verbringt er in einem sogenannten Loch in der Muldenstraße. Schon früh hat er im Stahlwerk zu arbeiten begonnen und sich dabei einen Trümmerbruch zugezogen, der ihn aus der Bahn wirft. Das ist alles im Roman beschrieben, meint Moser, und tatsächlich gibt es einen Roman „Trümmerbruch“ von Gelbmann, in dem alles drinsteht.

Wer vom geraden Weg, und sei es auch nur der Schreibweg, abkommt, landet im Gefängnis. Moser wird immer wieder auch zum Tode verurteilt, aber er hat diese seltsame Gelassenheit, die Menschen haben, die noch einen großen Roman vollenden müssen.

Ein Leben lang wird der Held von der Lehnerin begleitet, sie ist verlässlich dann da, wenn er wieder aufbricht nach Lübeck, und ihr kann er auch anvertrauen, dass es wieder nichts geworden ist. In der Liebe sind die beiden ziemlich abgekühlt, vor allem seit dem frühen Tod einer gewissen Eva kann man Moser nichts mehr vormachen.

Die einzelnen Aufbrüche haben immer etwas Epochales, zumindest was die Biographie betrifft. Einmal geht es lange in ein Internat, aber es kommt keine richtige Bildung dabei heraus, einmal geht es für die Saison zum Malochen in eine Stadt, aber es bleiben nur zerschundene Glieder, einmal geht es entgegengesetzt zu Lübeck in den Süden, aber den Süden kann man nicht genießen, wenn man mir nichts dir nichts von der Muldenstraße aus dorthin reist.

Das Ende der Figuren bestimmt der Roman. An diese sehr weise Schicksalsfügung muss sich auch Moser halten, der Roman geht zu Ende, es geht sich gerade noch ein Abspann aus, wonach das Manuskript über einen Notar an den Autor gelangen wird, der das alles unter anderem entlang der Westbahnstrecke im Railjet (Ruheabteil) der ÖBB irgendwie ordnen wird.

Vorläufig Lübeck lässt sich auf vielerlei Ebenen lesen, der „Roman“ ist so mannigfaltig angelegt, dass der Leser immer mittendrin steht. Dabei ist äußerlich alles so überschaubar, in 31 Kapiteln wird etwas erzählt, was man als Einzelheit sogar nacherzählen könnte, den Kapiteln sind „Binsensätze“ vorangestellt, kleine Sätze aus dem Inneren des Kapitels, die das Zeug zu einem Schlüsselsatz haben. Aber das Ganze lässt sich nicht nacherzählen, das muss man nacherleben durch lesen!

Alfred Gelbmann, Vorläufig Lübeck. Roman
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2017, 242 Seiten, 15,80 €, ISBN 978-3-903125-10-0


Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Alfred Gelbmann, Vorläufig Lübeck
Literaturnetz: Alfred Gelbmann

 

Helmuth Schönauer, 17-04-2017

Bibliographie

AutorIn

Alfred Gelbmann

Buchtitel

Vorläufig Lübeck

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

242

Preis in EUR

15,80

ISBN

978-3-903125-10-0

Kurzbiographie AutorIn

Alfred Gelbmann, geb. 1946 in Linz, lebt in Wels und Wien.