Ralf Schlatter, Steingrubers Jahr

ralf schlatter, steingrubers jahrWas ein ordentlicher Alptraum ist, braucht mindestens ein Jahr, um halbwegs in Worte gefasst und aufgearbeitet zu werden.

Ralf Schlatter schenkt seinem Helden Felix Steingruber gleich zu Beginn einen so gewaltigen Alptraum, dass sich dieser den ganzen Roman lang nicht mehr davon erholt. Der Schrecken des Traumes besteht letztlich darin, dass ein Psychiater erklärt, nichts mehr für den Helden tun zu können.

Schon kurz nach dem Aufwachen beschließt Felix, das Leben in die Hand zu nehmen. Für ein geglücktes Leben braucht es nur zwei Dinge, hat er irgendwo erfahren: Ein Tagebuch und eine Bibliothek. Beides organisiert er, wobei die Bibliothek aus einer durchaus menschlichen Komponente besteht. Eine fast Schattenlose Frau sitzt hinter dem Büchertisch, Felix schaut zuerst auf ihren Busen und dann auf das Namensschild und verliebt sich aus dem Stand heraus in Bernadette Amrain.

Ein Jahr lang trägt Felix in der Folge alles im Tagebuch ein, was dem Tag und vielleicht dem Leben einen Sinn geben könnte. Er ist vom Beruf her gesehen Kammerjäger und sozusagen Massenmörder, denn er vernichtet alles, was seine Kunden plagt. So setzt er zum Namen der Kundschaft meist die Tierart dazu, die es zu bearbeiten gilt.

Mitten im Jahr fragt Bernadette einmal: „Sind wir jetzt zusammen?“ (66) Tatsächlich gibt es darauf keine Antwort, denn das Leben ist mittlerweile in kleine Tagesrationen zersplittert, die oft mit dem Vortag nichts zu tun haben. Eine Kontinuität besteht freilich darin, dass die Bibliothekarin immer schwächer und blasser wird. Eigentlich ist es logisch, dass sie stirbt, weil das in Büchern so üblich ist. Felix nimmt es gefasst, er hat ja auch schon den Tod seines Vaters gut hingekriegt, eine Urne hilft bei solchen Ereignissen, denn eine Urne gibt Halt und man kann mit ihr sprechen.

Mittlerweile ist der Schneemann auf dem Friedhof schon geschmolzen und das Leben geht weiter, Nachkontrolle bei Kakerlaken, eine üppige Frau fällt im Bus auf den Helden, mit Kleinigkeiten fängt es oft an.

Ralf Schlatter zerlegt im Stile des großen Robert Walser die Welt in überschaubare Kleinodien. Der Roman erinnert an eine Pinnwand, auf der die Tage gleichranging aufgeklebt sind. Dazu kommt noch diese wundersame „Schweizer Liebe“, die meist aus Papier besteht und worin der Liebhaber sich auf den Weg zur Angebeteten macht, bei ihr angekommen aber den Sinn auf alles verliert und wieder heimgeht. Die Welt spielt sich in Kleinigkeiten ab, nicht umsonst ist es Kleingetier, das der Held dienstlich bekämpfen muss, während er sich an die Aufgabe macht, einen Ur-Alptraum zu besiegen.

Habe heute auf der Straße zwei erwachsene Männer gesehen, in Ganzkörper-Kuh-Kostümen aus Plüsch. So kann man das natürlich auch machen. Gott, sahen die blöd aus. So alleine unter all den andern, Normalen. (139)

Ralf Schlatter, Steingrubers Jahr. Roman
Innsbruck: Limbus Verlag 2017, 149 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-99039-099-3


Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Ralf Schlatter, Steingrubers Jahr
Homepage: Ralf Schlatter

 

Helmuth Schönauer, 24-04-2017

Bibliographie

AutorIn

Ralf Schlatter

Buchtitel

Steingrubers Jahr

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

149

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-99039-099-3

Kurzbiographie AutorIn

Ralf Schlatter, geb. 1971 in Schaffhausen, lebt in Zürich.