Johannes Richardt (Hg.), Die sortierte Gesellschaft

johannes richard, die sortierte gesellschaft„Gerade innerhalb der Linken betrachten viele Identitätspolitik als ein Mittel, um Minderheiten zu schützen. Sie wird als Quelle des Selbstbewusstseins und als Ausgangspunkt von Politisierung und Selbstorganisation für ausgegrenzte Minderheiten dargestellt. Die in »Die sortierte Gesellschaft« versammelten Autoren sind skeptisch gegenüber dieser Auffassung.“ (S. 6)

Die Idee, für marginalisierte Gruppen Anerkennung und Respekt für ihr spezifisches Anderssein zu fordern, scheint auf den ersten Blick positiv und sympathisch zu sein, führt aber rasch zu einer Fragmentierung der Gesellschaft, in der sich lauter unterschiedliche „Identitäten“ gegenüberstehen, die eine Sonderbehandlung verlangen. Demgegenüber stellen die Autoren des Buches den Universalismus der Aufklärung mit Werten wie Vernunft, Freiheit und Demokratie gegenüber.

Frank Furedi geht der „verborgenen Geschichte der Identitätspolitik“ nach, die er im Aufstand gegen den Universalismus der Aufklärung in der Romantik ausmacht. Mit Herder findet die Idee eines partikularistischen Geistes Verbreitung, wo die Kultur eines Volkes von der individuellen Identität eines Volkes mit seinem eigenen Volksgeist bestimmt wird. Die überindividuelle Identität wird nun von ganzen sozialen Gruppen aufgegriffen, die sich als Opfer des gesellschaftlichen Systems verstehen. Politisch-soziale Auseinandersetzungen werden damit zunehmend von Kulturkämpfen ersetzt.

Der bekannte amerikanische Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Mark Lilla kritisiert in einem Interview ganz vehement die Identitätspolitik der US-Linken und macht sie indirekt auch für den Wahlsieg Donald Trumps mitverantwortlich. In gegenwärtigen Diskussionen werde zunehmend politische Ziele und Positionen durch Frage nach der Definition des eigenen Intimlebens und subjektiven Erfahrungen ersetzt. Dies führe dazu, dass die Menschen nicht mehr ihre Argumente oder politischen Positionen, sondern ihr „Ich“ angegriffen sehen würden, was politische Debatten unmöglich mache.

Der Sozialwissenschaftler Michael Zürn spricht in einem Interview über die „politischen Konfliktlinien einer globalisierten Welt“, in der sich „Kosmopoliten“ und „Kommunitaristen“ gegenüberstehen. Grundlage für den Konflikt zwischen den beiden gesellschaftlichen Gruppen bilden sowohl ökonomische als auch kulturelle und politische Faktoren. Die starke Betonung von sexuellen und kulturellen Minderheitenrechten durch die Kosmopoliten führt auf der anderen Seite zu einer Abwehrreaktion:

„Oh, die da oben kümmern sich um gleichgeschlechtliche Toiletten, aber sie kümmern sich nicht um unsere existentiellen Probleme.“ (S. 74)

Insgesamt achtzehn Autorinnen und Autoren setzen sich mit den Themenbereichen „Identitätspolitik heute“, „Heimat und Identität“, „Klasse und Identität“ sowie „Geschlecht und Identität“ auseinander, wo sie für diese Bereiche aufzeigen, wie sehr die Berufung auf die „Identität“ die Diskussion über gesellschaftliche Zustände und Veränderungen sowie die gesellschaftliche Solidarität untergräbt.

Eine überaus empfehlenswerte Sammlung von Beiträgen zum Thema Identitätspolitik in ihren verschiedenen Facetten und Auswirkungen, welche die gesellschaftliche Diskussion und den gesellschaftlichen Zusammenhang mehr beeinflusst, als vielen bewusst zu sein scheint.

Johannes Richardt (Hg.), Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitätspolitik
Frankfurt a. Main: Edition Novo 2018, 194 Seiten, 16,00 €, ISBN 978-3-944610-45-0

 

Weiterführender Link:
Edition Novo: Johannes Richardt (Hg.), Die sortierte Gesellschaft

 

Andreas Markt-Huter, 27-02-2019

Bibliographie

AutorIn

Robert Pfaller / Mark Lilla / Kenan Malik / Joanna Williams u.a.

Buchtitel

Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitätspolitik

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Novo

Herausgeber

Johannes Richardt

Seitenzahl

194

Preis in EUR

16,00

ISBN

978-3-944610-45-0