Tina Pruschmann, Lostage

tina pruschmann, lostageWem die Natur zu wenig dramatisch ist, der baut in der Landwirtschaft gerne sogenannte Lostage darin ein. Lostage verstärken einen Zustand ins Unermessliche und wirken wie eine Zauberkraft. Wer an Lostagen alles richtigmacht, kann die Natur vielleicht überlisten. So sind Lostage Wünsche und augenzwinkernde Logik in einem.

Tina Pruschmann nimmt diese geheimnisvollen Lostage zum Anlass, um das gewöhnliche Leben aufzuschlüsseln. Jeder von uns erinnert sich an sogenannte Schlüsseltage, an denen sich das Leben entscheidend verändert hat. Wenn man nun Macht über diese besonderen Tage hätte, hätte man auch Macht über das Leben. Der Witz ist nur, dass sich oft erst lange hintennach entscheidet, ob ein Ereignis damals ein Lostag gewesen ist.

Die Ereignisse sind hingewürfelt und auf den ersten Blick nur vage untereinander verbunden. Der Durchstoß eines Baggers beim U-Bahnbau in einen neuen Streckenabschnitt eröffnet zuerst einmal bloß eine neue Linie, später aber schieben sich ganze Lebensläufe, Tragödien und Alltagsgeschichten durch diese Röhre.

Ähnlich ergeht es einem Kind, das vom Kirschbaum fällt, aber über den Sturz hinaus verzückt auf die Aussichten reagiert, die beim Herausfallen aus einer üppigen Baumkrone entstehen.

Auf einer Aschenbahn werden plötzlich Freunde zu Gegnern und es ist gar nicht mehr so leicht, aus der gewalzten Schlacke wieder herauszufinden in eine Leichtigkeit der Freundschaft.

Beim Angeln kommt ein Liebesbrief zum Vorschein, der vor zwanzig Jahren brisant gewesen ist. Kann es sein, dass die Zeit ein Angelwurf ist, an dessen Haken falsche Fische anbeißen?

Immer wieder tauchen die gleichen Namen auf und verknüpfen die Ereignisse zu einem Geflecht an Zeitgeschichte. In die persönlichen Verknotungen der Protagonisten sind immer wieder Gesellschaftszustände, Job-Angebote oder Berufsbilder eingearbeitet.

Sasha liegt mit einer Frauenkampftruppe im Gebirge und bereitet sich auf einen Kampf vor, die meiste Zeit freilich sind sie in Bewegung, um sich zu tarnen oder auf etwas Unbestimmtes vorzubereiten. Die Bilanz fällt ernüchternd aus:

Wenn ich eine Westeuropäerin wäre, wäre ich nicht in den Bergen. (47)

An anderer Stelle bewirbt sich ein gewisser Daniel um eine Stelle als Content-Boy. Die Firma nennt sich The Village und schildert die Welt in den schönsten Farben. Es gibt Tag und Nacht Verführung, Promotion und Business. Die Fremdwörter sprudeln nur so dahin und ergeben offensichtlich jenen Content, den der Content-Boy dann aufarbeiten soll. Wir erfahren nicht, ob es mit der Anstellung geklappt hat, aber alles über das Programm.

Bei The Village geht die Party nie zu Ende. (85)

Die Erzählform der Lostage ist einfach und in ihrer spielerischen Verknüpfungsmöglichkeit unendlich. Und die Lostage haben noch eine unterirdische Bedeutung: In der Sprache der Jäger ist die Losung der Abfall aus dem Hintern. So gesehen wären Lostage dann wirkliche Scheißtage, die von Helden ebenfalls gemeistert werden müssen, wenn auch ohne großes Erzähl-Trara.

Tina Pruschmann, Lostage. Roman
Salzburg: Residenz Verlag 2017, 224 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-7017-1680-7

 

Weiterführende Links:
Residenz Verlag: Tina Pruschmann, Lostage
Homepage: Tina Pruschmann

 

Helmuth Schönauer, 14-07-2017

Bibliographie

AutorIn

Tina Pruschmann

Buchtitel

Lostage

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Residenz Verlag

Seitenzahl

224

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-7017-1680-7

Kurzbiographie AutorIn

Tina Pruschmann, geb. 1975, aufgewachsen in Gera, lebt in Leipzig.