Sepp Mall, Hoch über allem

sepp mall, hoch über allemIn einem gewissen Alter gibt es für Helden und Leser nur ein Thema: Wir haben Eltern, wir haben Kinder, dazwischen wir.

Sepp Mall erzählt unspektakulär und geduldig von ein paar Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr, in denen dem Psychologen Jakob ungeplant das bisherige Leben nahetritt. Hoch über allem ist ein Wunschbild, worin man während des Nachdenkens in ein Sternbild fliehen könnte, um dem ganzen Erdendasein eine höhere Dimension zu geben.

Jakob und seine aktuelle Familie fahren an einen angefrorenen Weihnachtssee, um ein wenig allgemein zu relaxen, ohne psychologischen Hintergrund. Es gibt schon längst keine Geschenke mehr, sondern so etwas wie „einen Gedanken von Geschenken“, die dann völlig unverfroren auf dem Gabentisch herumliegen.

Denn Jakob muss noch einmal weg, seine Tochter Emma aus einer früheren Beziehung, wie das im Soziologendeutsch heißt, ist in Nöten. Ihre Mutter ist im Spital und hat einen Schlaganfall erlitten oder was. Jakob holt Emma am nächstbesten Bahnhof ab, und es beginnt eine Reise zurück in die Studentenzeit, in das Leben der Frau, die jetzt im Koma liegt. Zwischen dem Vater und der Tochter oszillieren Zustände des Vertrauens und der Fremdheit, sie sind sich genetisch nahe, haben sich aber nichts zu sagen, zumal der gemeinsame Bezugspunkt für beide als abgelegtes Bild im Koma liegt.

In diesem Auto-Ritt durch die Nacht taucht das Inntal als einziges großes Gewerbegebiet auf (58), über dem Tisch, an dem der Held schreiben gelernt hat, hängt noch immer der Stoffschmuck: „Mach meine Seele gesund“, und zwischendrin flashen Szenen aus dem Wiener Studentenmilieu auf, wo sich einst Maria und Jakob mit sich selbst erkundet haben, freilich mit Kosenamen verkleidet als Jack und Marilyn.

Die nächtliche Fahrt erstreckt sich gefühlsmäßig über mehrere Tage. Vater und Tochter steigen in einem Garni ab, weil sie zu müde sind zum Weiterfahren, sie können aber nicht einschlafen unterm Firmament hoch über allem. Sie schauen zu Hause bei Marilyn vorbei, wo sie den Bruder mitnehmen fürs Spital. Im Foyer und auf den Gängen wird von einem Tsunami berichtet, der halb Thailand verwüstet hat.

Jetzt sitzt Jakob am Bett der Bewusstlosen und soll etwas reden, etwas Aktuelles, sagt die Schwester. Da erzählt er, dass in Asien alles verwüstet ist und wir nur Treibholz sind. Die Ärzte lassen Hoffnung aufkommen, zumindest verwenden sie das Wort stabil. Jakob fährt zurück zur Weihnachtsfamilie, wo die Freundin des Sohnes gerade mit einem Fuß im See eingebrochen ist. Sie lässt den schönen Satz aus sich heraus: Rettung naht!

In diesem feinen Kammerstück der Seele erzählt Sepp Mall fast impressionistisch von diesem seltsamen Zustand, den wir Trauer und Lebensaufmerksamkeit nennen, und der oft nur im Licht lebt, das uns umgibt, oder in Gerätschaften, die wir anfassen, oder in einer Nachricht, die wir nicht zuordnen können. - Abgehoben innig, fesselnd genau.


Sepp Mall, Hoch über allem. Roman
Innsbruck: Haymon Verlag 2017, 215 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-7099-7297-7

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Sepp Mall, Hoch über allem
Wikipedia: Sepp Mall

 

Helmuth Schönauer, 10-09-2017

Bibliographie

AutorIn

Sepp Mall

Buchtitel

Hoch über allem

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

215

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7297-7

Kurzbiographie AutorIn

Sepp Mall, geb. 1955 in Graun, lebt in Meran.