Thomas Antonic, Flackernde Felsbilder übler Nachtvögel

bild antonic felsbilderFür einen Leser, den wir sehen, stehen hundert unsichtbare Leser. Für eine Sprache, die wir sprechen, stehen hundert ungehörte Sprachen.

Thomas Antonic ist in vielen Kunstformen zu Hause, er wechselt laufend die Disziplinen, und auch die jeweils aufgegriffene Sprache ist nur eine Momentaufnahme. In Wirklichkeit schwingen alle denkbaren Sprachen mit, wenn etwa ein Text auf Deutsch erscheint. Diese Mannigfaltigkeit wird durch die Ästhetik des Spiegelbuches verstärkt, vorne oder hinten ist der Text einmal auf Englisch, einmal auf Deutsch abgedruckt. In der Mitte laufen die beiden Textstränge in einem Graphik-Block zusammen, der die strahlenden Textelemente wie in einem Atommeiler zu trennen versucht, ehe alles kritisch wird.

Als Leser hält man immer einen Hinterteil als Komplementärmenge in den Händen, da kann man drehen wie man will, immer gibt es eine stumme Text-Antimaterie, die ins Bewusstsein des Lesers vordringen will.

Die Textblöcke selbst haben keine Paginierung, sondern sind wie archaische Gesetzestafeln mit den römischen Ziffern eins bis sechsundsechzig überschrieben. In einem Editionsbericht sind nach einer Landkarte die diversen Fassungen und Varianten aufgezeichnet, ein augenloser Schamane bewacht anschließend ein Faksimile, ehe eine Schutzschicht als Röntgenbild eines Schädels auftaucht, an den spiegelverkehrt das Buch in der Komplementärsprache anschließt.

Die einzelnen Textbausteine liest man am besten mit neugierigen Abenteueraugen, es ist nämlich nie von vorneherein klar, worum es sich handelt. Am ehesten könnte man diese Module als kleine Exkursionen zu einem großen Plot bezeichnen, als Kurzessays zu einem noch offenen Thema, als Abhandlung zu einer nicht gesicherten Behauptung.

Beim ersten Lesen bleiben sofort diese spruchartigen Behauptungen hängen, die wie Pfeile in die Lektüre-Matrix schießen, alle Ordnung aufreißen und Verstörung auslösen.

Es wäre schön, einen Anfang zu haben, der bis in die Gegenwart reicht. IV
Lüge ist auch nur ein Wort aus vier Buchstaben. XII
Schreibe nur, was du auch lesen willst. XVI
Ich hätte gerne einen schönen Traum, ich bezahle auch dafür. XVIII
Gott bringt jeden um. XXVI
Elefanten laufen durch meine Blutbahn. XLVI

Diese Sätze wirken wie Refrains, welche die Botschaften darum herum relativieren oder konterkarieren. Zitate aus öffentlichen Medien, Netzwerken und abgespeicherten Dokumenten tauchen jäh und bruchstückhaft auf und haben oft keinen Anfang und kein Ende. So ist wohl auch der Titel dieses oszillierenden Textabenteuerromans zu lesen: Flackernde Felsbilder übler Nachtvögel. Das kann der Ausriss eines Programms sein, die Überschrift zu einer Home-Story oder die Beschlagwortung eines Bibliothekars.

Gegen die Erzählweise von Thomas Antonic wirken selbst die größten Thriller flach und berechenbar.

Thomas Antonic, Flackernde Felsbilder übler Nachtvögel. | Flickering Cave Paintings of Noxious Nightbirds, Deutsch | Englisch, Abbildungen und Graphiken
Klagenfurt: Ritter Verlag 2017, 2 x 109 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-85415-561-4

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Thomas Antonic, Flackernde Felsbilder übler Nachtvögel
Wikipedia: Thomas Antonic

 

Helmuth Schönauer, 11-12-2017

Bibliographie

AutorIn

Thomas Antonic

Buchtitel

Flackernde Felsbilder übler Nachtvögel

Originaltitel

Flickering Cave Paintings of Noxious Nightbirds

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

2 x 109

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-85415-561-4

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Antonic, geb. 1980 in Bruck an der Mur, lebt in Wien.