Ludwig Roman Fleischer, Weihnachten im Entzug

Buch-Cover

Zu keiner Zeit ist die gesellschaftliche Haut so dünn wie zu Weihnachten. Die einen reißen sich zusammen, bis die Nerven reißen, die anderen verfressen und betrinken sich, bis sie platzen, und die dritten strömen so ausgiebig Illusionen nach, bis diese unerträgliche Erlösungsrealität geworden sind.

Sind schon die Familien zu Weihnachten überfordert, so tun sich in öffentlichen Einrichtungen und geschlossenen Anstalten geradezu Abgründe des Weihnachtswahnsinns auf.

In Ludwig Roman Fleischers Roman versucht eine Truppe, mitten im Entzug ein illuminiertes Fest auf die Beine zu stellen. Die Sache geht natürlich professionell daneben, denn Weihnachten spielt mit den Glückhormonen, und von diesen werden die Zöglinge ja gerade entwöhnt.

Das Figurenset stammt aus den makaberen Seitenblicken der anderen Art. Im Mittelpunkt des Entwöhnungsheimes steht der Therapeut Heimeran, der sich selbst das Schlafen abgewöhnen will. Der eigentliche Heimleiter bleibt wie der Schlossherr bei Kafka eine Ahnung, die nie aus dem Schatten der vollkommenen Tarnung tritt.

Die Klienten sind entweder aus geographischen Gründen defekt, so ist ein Tiroler schon wegen seines Tirolertums stark drogengefährdet, oder aus religiösen Abschweifungen, wenn ein nigerianischer Naturbursche ins Katholische verbogen wird. Nicht immer geht auch die sexuelle Selbstbestimmung gut und endet dann in einer bedauernswerten Drogenschwangerschaft. Und all diese Kreaturen müssen nun töpfern, in Schreibwerkstätten ihren Erlebnissen aufs Papier quetschen oder die psychische Verfassung in dramaturgischen Sitzstücken ausdrücken.

Häufige Erkenntnis dabei: ?Heute bin ich gar nicht gut drauf!? Was sich auf der ersten Ebene wie ein Kabarett über defekte Therapeuten und Klienten liest, erfährt im zweiten Lesegang dann jede Menge Gesellschaftskritik im unterhaltsam-tiefgehenden Sinn. Alle diese Figuren stehen für esoterische Richtungen, religiöse Erlösungstheorien oder patriotische Andreas-Hofereien.

Die Glücksbotschaften verhöhnen sich selbst, wenn sie in die Realität umgesetzt werden. Nicht nur die Klienten sind mit ihren Befreiungsstrategien am Ende, auch die Therapien sind letztlich nichts anderes als Drogenkonsum der akademisch verbrämten Form. Wahrscheinlich ist Schlafentzug und absolute Lebensaskese die ironisch passende Antwort auf all die ungelösten Fragen.

Ludwig Roman Fleischers ?Weihnachtsroman? geht unter die Haut wie eine gut gesetzte Nadel, könnte man in seiner unnachahmlichen Fehlvergleichsform sagen, alles geht daneben, Vergleiche, Erwartungen, Erlösungen ? und eben auch Weihnachten im Entzug.

Ludwig Roman Fleischer, Weihnachten im Entzug. Roman.
Klagenfurt: Sisyphus 2004. 151 Seiten. ? 14,-. ISBN 3-901960-25-2

 

Helmuth Schönauer 26-09-2004

Bibliographie

AutorIn

Ludwig Roman Fleischer

Buchtitel

Weihnachten im Entzug

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Sisyphus

Seitenzahl

151

Preis in EUR

EUR 14,-

ISBN

3-901960-25-2

Kurzbiographie AutorIn

Ludwig Roman Fleischer, geb. 1952, lebt in Wien.