Rut Bernardi, Lyrik und Prosa kreuz und quer

Buch-Cover

Es gibt Literaturen, die sind so klein, dass sie fast ausschließlich sich selbst zum Inhalt haben. In der Serie Kleine Literaturen Europas stellt Rut Bernardi quasi im Alleingang das Ladinische in Lyrik und Prosa vor.

In den Texten taucht immer wieder die Frage auf, wie eine kleine Sprache überleben kann, was man auf Dauer mit dem Konzept Einweg-Übersetzungen anfängt und wie die aktuelle Gegenwart sich auf die Semantik einer archaischen Sprache auswirkt.

Im Theatertext "Romana Sellana" ist nicht mehr wird die ladinische Sprache zu Grabe getragen. Im ?Abgesang für die letzte ihrer Art halten alle möglichen und unmöglichen Leute eine Grabansprache, dabei wird wie bei einem echten Begräbnis viel gelogen und geschönt, aber auch das Schluchzen und die Trauer sind ergreifend.

Den Hauptteil der Sammlung bildet der Roman ?Briefe ins Nichts, wörtlich übersetzt ?Briefe für den Mehlsack. Dabei bringt sich Beta, eine sprachlos gewordene Ladinerin, um, indem sie den Atem anhält und sich so selbst erstickt. Diese skurrile Todesart steht am Ende einer langen beinahe autistischen Auseinandersetzung mit einer Umgebung, deren Sprache versagt.

Sie sah, wie die Menschen das Wort auf die Stufe einer Religion erhoben. Die Sprache wurde zu einem Idol. Alle dachten, dass nur das, was man aussprechen konnte, auf dieser Welt auch wirklich existierte. (93)

Im Roman ordnet nach dem Tod von Beta ein ehemaliger Schulkollege die hinterlassenen Papiere und macht sich mit schlechtem Gewissen seinen Reim auf die Sprechverweigerin. An diesem Roman ist vieles symbolträchtig, Beta hätte ursprünglich Sieglinde heißen sollen, aber das war zu heidnisch. So ist aus ihr Beta, ein B-Movie, der Plan B geworden.

Den Roman muss man sich in der Originalsprache Ladinisch vorstellen, dabei werden offensichtlich alle Wörter des täglichen Bedarfs und der Alltagsgefühle vorgeführt. Als die Heldin in die Geheimnisse der Sexualität eingeführt wird, kommen dabei wie in einem Lexikon alle nur erdenklichen Begriffe für die Geschlechtsorgane zum Einsatz.

Im lyrischen Teil werden die geheimnisvollen Frauenfiguren vorgestellt, halb Sage, halb Fels dokumentieren sie das Matriarchat, aus dem Ladinien seine Kraft schöpft. Ein Schlussgedicht nennt sich ?Ladinisch morgen (267), es besteht aus lauter leeren Zeilen und gleicht einem unausgefüllten Formular.

Rut Bernardis Literatur ist aufregend, weil in jedem Text der Sinn der Sprache, die Ritualisierung der Anwendung, das Andocken an sogenannte Groß-Sprachen zur Debatte stehen. Die Grenzen der Autorin sind die Grenzen der Sprache, könnte man fast Wittgensteinisch sagen. Und auch Ruth Bernardi geizt nicht mit einer Durchhalteparole, im Sinne n. c. kasers ruft sie: ?Ladinien wird eine Literatur haben, wie gut, dass es niemand weiß, AMEN. (165)

Rut Bernardi, Lyrik und Prosa kreuz und quer. / Lirica y prosa da piz a cianton. A. d. Ladin. von Rut Bernardi und Hans Grüning.
Klagenfurt: Hermagoras 2011. ( = edition mosaik - kleine literaturen europas, bd.2).
308 Seiten. EUR 25,-. ISBN 978-3-7086-0502-9.

Rut Bernardi, geb. 1962 in St. Ulrich in Gröden, lebt in Klausen.

Helmuth Schönauer, 19-06-2011

 

 

Weiterführende Links:
Hermagoras-Verlag: Rut Bernardi, Lyrik und Prosa kreuz und quer

 

 

Bibliographie

AutorIn

Rut Bernardi

Buchtitel

Lyrik und Prosa kreuz und quer

Originaltitel

Lyrik und Prosa kreuz und quer. / Lirica y prosa da piz a cianton

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Hermagoras

Übersetzung

Rut Bernardi und Hans Grüning

Seitenzahl

308

Preis in EUR

25

ISBN

978-3-7086-0502-9

Kurzbiographie AutorIn

Rut Bernardi, geb. 1962 in St. Ulrich in Gröden, lebt in Klausen.

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