Susanne Wiesinger, Machtkampf im Ministerium

susanne wiesinger, machtkampfEin sogenanntes Krater-Buch löst eine heftige Verwirblung eines Themas aus, ohne letztlich etwas zu verändern. In der Fläche der Vergangenheit freilich sind solche Krater-Bücher als Einschläge lange sichtbar. Sie zeugen davon, wie zu einem gewissen Zeitpunkt staatstragend diskutiert worden ist.

Als beispielhafte Krater-Bücher gelten etwa Josef Haslingers „Politik der Gefühle“ (1987), Robert Menasses „Sozialpartnerschaftliche Ästhetik“ (1990) oder im pädagogische Bereich Niki Glattauers „Der engagierte Lehrer und seine Feinde“ (2010).

Susanne Wiesinger, erfahrene Lehrerin und Gewerkschafterin, macht zuerst mit ihrem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ Furore, indem sie quer über alle Parteiideologien hinweg feststellt, dass es in sogenannten Brennpunktschulen tatsächlich brennt. Daraufhin wird sie als Ombudsfrau ins entsprechende Ministerium geholt, damit eine Ruhe ist. Die Autorin freilich hält sich nicht an die Spielregeln der Bürokratie und schreibt ihre Erfahrungen als Ombudsfrau auf. Nach dem ehernen Gesetz der Bürokratie wird sie nach Erscheinen des Buches „Machtkampf im Ministerium“ entfernt. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Die Bürokratie ist wie Vater und Mutter, und diesen müssen wir gehorchen, auch wenn sie etwas falsch machen.

Dieses Lehrstück an politischer Säuberung überrascht niemanden, der sich mit österreichischer Bürokratie auskennt. Es gibt nämlich, sagen erfahrene Beamte, nur einen Ausweg: Du musst die Bürokratie lieben, dann frisst sie dir aus der Hand!

Die Meta-Geschichte um die Autorin umschließt ihren anonymisierten Bericht über den Zustand des Schulwesens. Auf ihren Dienstreisen quer durch das Land muss sie erkennen, dass die sogenannten Wiener Zustände in Ansätzen überall auftreten. In einem umfangreichen Tabellen-Nachtrag ist dokumentiert, wie das Verhältnis deutsche Unterrichtssprache und real gesprochene Migrations-Sprache immer unrunder wird. Schon Wittgenstein hat lapidar festgestellt, dass sich eine Maschine nicht bedienen lässt, wenn sie keinen Bedienungshebel hat. Und der Bedienungshebel des Schulwesens ist nun einmal die Sprache.

Für die Lektüre des Erfahrungsberichtes empfiehlt es sich, das statistische Material im Anhang kurz durchzublättern, darin sind als Schaublätter für den Grundschulunterricht die wichtigsten Daten aufgezeichnet und sogar für Analphabeten lesbar. Mit diesen Graphiken im Hinterkopf tut man sich leichter, den Wahrheitsgehalt des Berichtes abzurufen.

In einer Mischform aus Bonmots, anonymisierten Klagen und zugespitzten Analysen ergibt sich ein katastrophales Bild des Bildungssystems, bei dem sich alle im Stich lassen, damit der Schüler endgültig im Stich gelassen werden kann. Die sprichwortartigen Merksätze haben dicken Wahrheitsgehalt, auch wenn die Angesprochen das oft leugnen und als Wirtshaus-Philosophie lächerlich machen wollen.

Die Regierung ist eine Wellness-Farm, sie regiert nicht, sondern beschönigt alles. Das Ministerium agiert in einer Blase. Die Gewerkschafter vertreten vor allem sich selber und sonst niemanden. Die Türkisen schauen auf das Gymnasium und blenden den Rest aus. Die Roten geben im Zweifelsfalle immer dem Kind recht, auch wenn es unrecht tut. Den Grünen ist alles egal, weil sie ihre Kinder ohnehin auf Eliteschulen schicken. Die Eltern werden hofiert, die Kinder entschuldigt. Die Lehrer gehen schließlich kollektiv ins Burnout.

In dieser radikalen Mängel-Litanei ist für jeden etwas dabei. In der momentanen Situation ist noch alles tabuisiert, daher liefert der Bericht vor allem Ermunterung, die Dinge endlich einmal auszusprechen, auch wenn man dann vom Schuldienst entfernt wird. In den Bildungsdirektionen haben längst die Bürokraten und Juristen das Sagen, da gibt es keinen pädagogischen Spielraum mehr. Die Pädagogen sind von oben her entmündigt.

Die Beispiele wirken wegen ihres dichten Aufkommens übertrieben, aber einzeln findet alles so statt, wie es sogenannte Einzelfälle eben immer tun. Neben der internen Omertà sind es vor allem zwei Religionen, die ständig stören. Die Erzdiözese ruft regelmäßig an, dass der Religionsunterricht ja am Vormittag stattfindet, obwohl kaum jemand mehr katholisch ist und während der Religionsstunde eine zusätzliche Beaufsichtigungsperson installiert werden muss. Die Moscheen greifen in ihrem Einflussbereich auf das Kindswohl zu, und was immer sie tun, sie unterstützen keinesfalls das sogenannte dekadente Schulsystem.

Am Ende des Berichts gibt es zehn Maßnahmen, wie die Lage verbessert werden könnte. Auch hier ist wieder für jeden etwas dabei. So könnte man zum Beispiel unsinnige Projekte streichen. Für jemanden, der die Sprache nicht versteht, ist es sinnlos, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: Hilfe, meine Eltern sind lesbisch!

Die Bürokratie muss zumindest vor Ort reduziert werden, das würde die Zentralbeamten zwingen, sich selbst vor Ort ein Bild zu machen, wenn sie keine Berichte mehr bekommen.

Ein flächendeckender Ethikunterricht ist das Mindeste, was man dem perversen Einfluss der Religionen entgegensetzen müsste. Die Schule muss wie die Justiz unabhängig agieren.

Die Autorin ist tapfer durch dieses Minenfeld der Parteipolitik gestapft und am Schluss in die Luft gesprengt worden. Ihr Buch ist aber mehrfach wichtig. Einmal als Ermunterung, das Sinnlose wie Don Quijote anzugehen. Als Leitfaden, wie man Tabus ansprechen könnte. Als Modell, wie man innerhalb von Wirtshaus-Sätzen noch einen Halt finden kann. Und schließlich als Plädoyer für die Literatur. Der Erfahrungsbericht gehört in den Cluster Literatur, und diese rettet bekanntlich im entscheidenden Fall die Welt.

Bereits beim Rezensieren dieses Buches wird man merken, wer was sagen darf, ohne in die Luft zu fliegen. Diese Rezension hier ist eine sogenannte Außenrezension, dem Rezensenten kann nichts mehr passieren, denn er ist schon in die Luft gesprengt und in Pension.

Susanne Wiesinger, Machtkampf im Ministerium. Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört. Co-Autor Jan Thies. Mit Fakten-Tabellen. Vorwort von Konrad Paul Liessmann.
Wien: Edition QVV 2020, 233 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-200-06697-7

 

Weiterführender Link:
Edition QVV: Susanne Wiesinger, Machtkampf im Ministerium

 

Helmuth Schönauer, 23-01-2020

Bibliographie

AutorIn

Susanne Wiesinger / Jan Thies

Buchtitel

Machtkampf im Ministerium. Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2020

Verlag

Edition QVV

Seitenzahl

233

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-200-06697-7

Kurzbiographie AutorIn

Susanne Wiesinger war bis zum Erscheinen dieses Buches Ombudsfrau im Bildungsministerium.

Jan Thies ist Redakteur der Rechercheplattform Quo Vadis Veritas.