Francesca Melandri, Eva schläft

h.schoenauer - 13.06.2011

Buch-Cover

Der Legende nach soll ein Erzengel dem Adam die Zukunft der Welt erklärt haben, während Eva geschlafen hat. Dieser seltsame Zustand, dass man die wichtigsten Botschaften verschlafen muss, um sie in der Realität zu erleben, ist vielleicht auch auf ein ganzes Land anwendbar.

In Francesca Melandris Roman suchen zwei Frauen und ein Land ihren Vater oder ihr Vaterland. Das Bemerkenswerte für deutschsprachige Nord-Leser liegt darin, dass in italienischer Sprache aus italienischer Sicht die Geschichte Südtirols erzählt wird, wie sie letztlich auf die kleinen Leute durchgeschlagen hat.

Die Geschichte wird mit dem zeitlichen und geographischen Maßstab erzählt. Eva fährt von Südtirol quer durch ganz Italien zu ihrem Mietvater Vito, der in Kalabrien im Sterben liegt. Da sie keinen Flug mehr erwischt, muss sie sich das ganze Land mit der Eisenbahn antun. Bei dieser Gelegenheit lernt sie zusammen mit den jeweiligen Abteil-Passagieren die Schönheiten des Landes von der Hinterseite, der Bahnseite aus kennen. In die Sequenzen der Bahnfahrt ist die Geschichte Südtirols und ihrer beiden Protagonistinnen eingespannt.

Gerda, mitten in der Italienisierung Südtirols geboren, schlägt sich als sogenannte "Matratze" im Nachkriegs-Fremdenverkehr durch. Sie ist schön und selbstbewusst, als sie schwanger nach Hause kommt, setzt sie der Vater mit dem unnachahmlich grimmigen Südtiroler Wort "aussi" (126) vor die Tür. Das Kind Eva wächst unter widrigen Umständen mehr herumgestellt als getragen auf, und übt schließlich als Eventmanagerin eine für das moderne Südtirol typische Tätigkeit aus. Eva und Gerda bleiben selbständig, suchen aber ein passendes Vaterbild für ihre Lebensentwürfe.

Und auch das Land probiert es mit Diplomatie und Sprengstoff, mit Vaterlandsbegriffen und Autonomie, Südtirol bleibt irgendwie ledig und schläft einer gesegneten Zukunft entgegen.

Francesca Melandrini erzählt mit ausgewogener Sympathie von der Geschichte Südtirols, die großen Themen der Politik werden geduldig erklärt, abgelöst von Tabuthemen wie Emanzipation, Homosexualität und Bauern-Machismo.

Die Bumser haben ein Herz, wenn sie zum Attentat schreiten, manch einer weint, wenn er von den Landsleuten drangsaliert wird. Und auch die Unbarmherzigkeit des Staates, mit der er gnadenlos gegen die "Terroristen" vorgeht, soll vielleicht auch Verständnis für die allgemeine Unbeholfenheit wecken. So ist etwa die italienische Bürokratie eine staatstragende Kraft, unter der alle leiden, nicht bloß die ungeduldigen Südtiroler. (169)

Eva schläft ist eine optimistische Saga über Südtirol, die von den Leiden der Vergangenheit und der abgeklärten Hoffnung auf eine gute Zukunft erzählt. Die Figuren, ob erfunden oder real, haben nur dann eine Chance auf eine Erfolgsgeschichte, wenn sie selbstbewusst und zurückgenommen sind. So unterhält nicht umsonst der Altlandeshauptmann Magnago im Altersheim charmant eine alte Damenrunde und beweist, dass jetzt alles gut geworden ist.

Eva schläft ist ein aufregendes Epos zu einem aufgeweckten Land.

Francesca Melandri, Eva schläft. Roman. A. d. Ital. von Bruno Genzler [Orig.: Eva dorme, Mailand 2010]
München: Blessing 2011, 442 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-89667-435-7

 

Weiterführender Link:
Blessing-Verlag: Francesca Melandri, Eva schläft

 

Helmuth Schönauer, 14-06-2011

Bibliographie
AutorIn:
Francesca Melandri
Buchtitel:
Eva schläft
Originaltitel:
Eva dorme
Erscheinungsort:
München
Erscheinungsjahr:
2011
Verlag:
Blessing
Übersetzung:
Bruno Genzler
Seitenzahl:
442
Preis in EUR:
20,60
ISBN:
978-3-89667-435-7
Kurzbiographie AutorIn:
Francesca Melandri, geb. 1964 in Rom, wuchs in Südtirol auf, ist Dramatikerin und Journalistin.
Themenbereiche: