Brane Mozetič, Umarmungen des Wahnsinns

brane mozetic, umarmung des wahnsinnsSexual Reality (SR) gilt spätestens seit Henry Miller für die Literaturbeschreibung als Hilfsmittel, um eine obsessive fiktionale Wirklichkeit zu beschreiben, zu der der Leser nur bedingt vordringen kann. Diese Realität lässt sich am ehesten mit Virtual Reality (VR) vergleichen, worin ja auch die User hinter dicken Digital-Brillen sitzen und nur schwer mit Brillenlosen kommunizieren können.

Brane Mozetič schickt seinen Ich-Erzähler in eine Welt der Obsession, Erregung und höchster Hormon-Zirkulation. Mitten in den „Umarmungen des Wahnsinns“ sitzt ein Held, dessen Aufgewühltheit sich durch nichts sedieren lässt, weder durch Körpernähe noch durch Entzug. Der Held ist Übersetzer und hat das Switchen der Sprachen gelernt, ähnlich muss er auch mit seiner Sexualität vorgehen, in der Öffentlichkeit bewegt er sich vorsichtig durch die Homosexualität, in der Intimität gibt es keine Barrieren.

Über ein Inserat hat er Peter kennengelernt, aus der Dienstleistung wird hemmungslose Zuneigung, an der Peter auch sogleich zerbricht und in eine psychiatrische Klinik überstellt wird. Der Held hat sich inzwischen für ein Übersetzungskolloquium angemeldet, auf einem kaputten Landsitz an der Peripherie kommen Übersetzerinnen aus allen Sprachen zusammen. Peripherie ist das Schlüsselwort, denn während die Welt voll in einer einheitlichen Globalisierung draufgeht, kratzen die Übersetzerinnen ihre Restkulturen zusammen und versuchen mit diesen am großen Weltganzen irgendwie anzudocken.

Peripher sind jedenfalls alle Locations, an denen der Erzähler nun zu tun hat. Schon der Weg in die Entlegenheit ist gepflastert mit Graffiti und devastierten Bahnhöfen. Der Seminarort besticht durch die knarrenden Böden, die in Zukunft die Übersetzertätigkeit begleiten. Und völlig peripher sind auch die Ausflugsorte, die der Held zwischendurch besucht.

Schon in der Vorstellungsrunde tun sich zwei Charaktere hervor, die den Helden in Bann ziehen. Ein Brasilianer glänzt mit Geschmeidigkeit und hat die besten Joints, wie sich bald herausstellen wird. Ein Grieche erfüllt die klassischen Kriterien eines antiken Geliebten, allerdings weiß er selbst nicht, ob er überhaupt schwul ist.

Die Sache mit dem Griechen geht schief, und der Held kommt kaum noch zum Übersetzen, weil er die ganze Zeit an der Mailbox wartet, ob sich vielleicht Peter rührt. Als Ablenkung besucht er einen Club, in dem billige Boys aus Bulgarien angeboten werden. Später landet er vor den Toren der Stadt auf einem irrealen Fabrikgelände, worin sich gerade bei einer Orgie alle Opfer des letzten Balkankriegs austoben.

In einer intellektuellen Parallelaktion hat jüngst in der Übersetzergruppe eine Diskussion über die diversen Verbrechen der einzelnen Völker stattgefunden, welche diese untereinander begangen haben. Österreich kommt dabei als perverses Stillstandsland vor, das einem verrückten Landeshauptmann huldigt. (102)

Das Fabrikgelände ist ähnlich aufgebaut wie ein Schreckenslager, auf einen Container-Block mit der Bezeichnung Jenseits, folgt ein Feld mit Unschuld. Vieles erinnert an ein Aufnahmelager, in das Asylwerber aus allen Kontinenten strömen und im Kreis herumgeschickt werden.

Gerädert von diesem Alptraum findet der Übersetzer wieder zurück in sein Übersetzungs-Lager, wo bereits Abmarschstimmung herrscht. In der Nähe ist tatsächlich ein Asyllager eröffnet worden, das den Platz der Übersetzer braucht. Quasi vom Ende der Welt aus machen sich die einzelnen Übersetzerinnen wieder auf den Weg nach Hause.

Die Eilzüge der modernen Welt fuhren vorbei, in ihnen saßen erfolgreiche und glückliche Menschen, hier, an dieser Station, wird ein Lokalzug halten, der unsere Kolonie auflesen wird, die staubig und müde auf harten Sitzen langsam in ihren Alltag, in ihre Welt zurückkehrend wird, falls es diese Welt noch gibt. (159)

Der Erzähler fühlt sich mehrfach abgehängt, geographisch, sexuell, sprachlich. - Aber das ist die Peripherie!

Brane Mozetič, Umarmungen des Wahnsinns. Roman, a. d. Slowen. von Andrej Leben. [Orig.: Objemi norosti, Ljubljana 2015]
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2018, 158 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-903125-25-4

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Brane Mozetič, Umarmungen des Wahnsinns
Wikipedia: Brane Mozetič

 

Helmuth Schönauer, 23-12-2018

Bibliographie

AutorIn

Brane Mozetič

Buchtitel

Umarmungen des Wahnsinns

Originaltitel

Objemi norosti

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sisyphus Verlag

Übersetzung

Andrej Leben

Seitenzahl

158

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-903125-25-4

Kurzbiographie AutorIn

Brane Mozetič, geb. 1958 in Ljubljana, u. a. Redakteur der Schwulenzeitschrift Revolver, leitet das Zentrum für slowenische Literatur.

Andrej Leben, geb. 1966 in Bleiburg, ist Slawist an der Universität Graz.