Romain Puértolas, Der kleine Kaiser ist zurück

romain puertolas, der kleine kaiser ist zurückWenn man die verspielte Alltagsgeschichte mit dem großen Model der Historie aussticht, geht eher der Model kaputt als die Alltagsgeschichte.

Romain Puértolas hat ein schlichtes Anliegen: Er will in einem flotten, flauschigen Roman die Gegenwartskrise Frankreichs erzählen, indem er sie Napoleon als Wiedergänger kindlich staunend vor die Linse schiebt.

Die Rahmenhandlung ist bestechend und genial wie Napoleon selbst. Vier norwegische Fischer entdecken unter einem Haufen europäischen Plastikmülls eine Kiste mit Napoleon drin, der auch flugs und unversehrt aus der Kiste springt und auf neue Abenteuer aus ist. Eine wenig erinnert diese Bergung an die Landung eines Raumfahrers, der schon winkt, ehe er mäßig gestützt aus der Kapsel geborgen wird, um sofort in sein Heimatland transportiert zu werden.

Auch Napoleon pfeift auf Norwegen und lässt sich sofort nach Frankreich bringen, das er naturgemäß nicht mehr wiedererkennt. Jetzt tritt für den Leser jener oft verwendete Effekt auf, dass die bereits mit historischer Patina überwucherten Augen eine unstrukturierte Konsum- und Handywelt sehen müssen. In seiner aus dem Zeitsprung resultierenden Naivität kann Napoleon nämlich Zusammenhänge sehen, die uns Usern bereits längst entfallen sind.

Die Zeitgeschichte ist, wenn man das Copyright der Originalausgabe betrachtet, etwa auf 2015 eingefroren. Da gibt es noch nichts von Gelb-Westen und dem Neo-Napoleon Macron, sondern wir haben es in der Hauptsache mit Dschihadismus, Präsident Hollande und den Kulturkampf zwischen Franzosen und Arabern zu tun. So gesehen ist der Roman vielleicht eine andere Lesart von Michel Houellebecqs „Unterwerfung“, der zeitgleich erschienen ist.

Der revitalisierte Napoleon reist jedenfalls durch Frankreich und erlebt wie Münchhausen allerhand Abenteuer, die ihm selbst ziemlich verlogen vorkommen. Der Roman ist in seinem Kern als flotte Glossen-Sammlung angelegt, eine Kunstfigur besteht dabei unter der Woche den Alltag und kommentiert diesen spritzig für eine Wochenendausgabe eines Zeitgeistmagazins.

Die einzelnen Episoden sind mit artigen Überschriften versehen, die zur Beschleunigung des Lesevorgangs führen. Denn in den Episoden steht genau das drin, was man sich von der Überschrift erwartet. Napoleon gewinnt ein Auto. (132) Der islamische Katechismus. (209) Die unsichtbare Burka. (249) Napoleons Erfahrungen mit dem Telefon. (281) Wo es noch einmal um Napoleons Penis geht. (305)

Als Leser wird man fallweise ziemlich leer, wenn alles genau so dasteht, wie man es vor Jahren schon in den Zeitungen gelesen hat. Dass sich die Welt ständig ändert und die Sätze von gestern nicht mehr ins Heute passen, ist eine Binsenweisheit, die nicht einen ganzen Roman zur Verifizierung braucht. Gerade das Verlässliche, mit dem die Pointen und Plots daherrauschen macht den umsichtigen Leser bald einmal verdrossen. Irgendwo muss doch ein guter Satz stecken oder etwas, was man so noch nie gehört hat. Aber dieser Kleine-Kaiser-Roman ist Gebrauchsliteratur, wie sie von der industrialisierten Schreib-Factory tonnenweise am Tag ausgestoßen wird, weil es keine Schreib-CO-Obergrenze gibt.

Wieder einmal wird man daran erinnert, dass das Leben zu kurz ist, als dass man sich Ausflüge in diese Zeitvernichtung auf Dauer leisten könnte. Der Erzähl-Model dieses Romans zerbricht an der ledernen Haut des Alltags.

Romain Puértolas, Der kleine Kaiser ist zurück. Roman, s. d. Franz. von Maja Ueberle-Pfaff, [Orig.: Re-vive l'Empereur, Paris 2015]
Hamburg: Atlantik Verlag 2018, 317 Seiten, 16,00 €, ISBN 978-3-455-60049-0

 

Weiterführende Links:
Atlantik Verlag: Romain Puértolas, Der kleine Kaiser ist zurück
Wikipedia: Romain Puértolas

 

Helmuth Schönauer, 08-12-2018

Bibliographie

AutorIn

Romain Puértolas

Buchtitel

Der kleine Kaiser ist zurück

Originaltitel

Re-vive l'Empereur

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Atlantik Verlag

Übersetzung

Maja Ueberle-Pfaff

Seitenzahl

317

Preis in EUR

16,00

ISBN

978-3-455-60049-0

Kurzbiographie AutorIn

Romain Puértolas, geb. 1975 in Montpellier, lebt in Spanien.