Eva Kittelmann, Die Quadratur des Denkens

eva kittelmann, die quadratur des denkensIn der Schokoladenbranche gibt es einen Anbieter, der sein Produkt quadratisch anbietet. Unter Zuhilfenahme diverser Werbemaßnahmen ist es ihm angeblich gelungen, die Schokolade dermaßen zu formatieren, dass jedes einzelne Stück auf der Zunge quadratisch schmeckt.

Eva Kittelmann hat vor Jahren damit begonnen, ihr Werk quadratisch darzustellen und damit „abzurunden“. Ausgangspunkt für ihre Überlegung ist der schöne Satz von der Quadratur des Kreises, was als höchste Kunst diverser Denkrichtungen angesehen wird. Die Quadratur bei Eva Kittelmann schöpft aus einem lebenslang gespeisten Fundus diverser Texte, die für die Quadratur-Edition, geordnet nach Denk-Zugängen, neu zusammengestellt sind. Dabei entsteht das inzwischen viel zitierte Quadratformat, das sowohl im Regal als auch in der lesenden Hand unverwechselbare Harmonie verströmt, das Buch wird nach allen vier Seiten gleich offen oder rätselhaft, wie es eben die Quadratur des Buches ermöglicht.

In den letzten zehn Jahren sind nach dieser Methode sieben Bücher entstanden, sie widmen sich den Schwerpunkten: Quadratur der Verse (2012), der Texte (2014), der Legenden (2017), der Sinne (2019), des Denkens (2020) sowie der Quadratur der Szenen (2021). Die Bücher sind mit dem Zusatz „lyrische Sequenzen“ versehen, was auf den besonderen Hintersinn der Textquadrate hinweist, sie sind aus einer poetischen Gefühlslage verfasst oder sollen einen ins Auge gefassten Augenblick zu einem poetischen Wimpernschlag verhelfen.

„Die Quadratur des Denkens“ trägt den Untertitel Vermutungen, was auf ein Denken hinausläuft, das außerhalb der strengen Logik abläuft. Zur Methode erklärt die Autorin, dass sie auf einem Haufen „überflüssiger“ Manuskripte sitze, die sie von Zeit zu Zeit durcharbeite, und wenn sie zu einem Thema passen, in eine quadratische Struktur bringe. Das Quadrat wächst sich dabei zu einem harmonischen Block aus, der ein visuelles Gedicht genauso ergeben kann wie eine Notiz im Grundriss eines Vierkanthofs. Sinnigerweise sind die Seitenzahlen in Klammern gesetzt, sie betonen das Vorläufige, denn die Manuskripte könnten in einer neuerlichen Sichtung zu einer ganz anderen Ordnung führen. Manchmal werden Blöcke mit dem Ausruf einer Ode begonnen, O du, was aber mehr auf eine Überraschung der Autorin hinweist, etwas wiedergefunden zu haben, als auf einen spontanen Ausbruch des Themas.

Die Themen sind auch beim Lesen austauschbar und untereinander kompatibel. So führt eine Verkettung dreier Begriffe unweigerlich zu einer poetischen Aussage. Pascal (12) | Chaos (20) | Mondsache (25).

Ein Leitmotiv stellt die Grenze zwischen Text und graphischer Struktur dar. Einmal wird beschrieben, was sich „Vor der Zeichnung“ (42) abspielt. Zeitlich gedeutet geht es darum, was alles „im Denken“ passiert, ehe es zur Realisierung der Zeichnung kommt, örtlich gedeutet geht es „im Szenischen“ darum, was jemand sieht, der vor der Zeichnung steht. Eine ähnliche Doppeldeutung bietet sich später in der Notiz „gezeichnet“ (124) an, wo es sowohl um die Niedergeschlagenheit einer Person als auch die Vollendung eines Zeichenaktes geht. „Autographien“ (103) münden in eine Glyptothek der Seelen und bringen Archivare und Antiquare gleichermaßen in Verzückung.

Eine „Denkkette“ widmet sich der seltsamen Entschlüsselung oft unbedacht verwendeter Wörter. Unter Hungerleider (55) heißt es: „Immer wird etwas gefressen, der Rost nagt am Eisen, der Frost am Felsen. Es fressen die Kühe die Almen, die Wale den Krill, der Jäger das Wild, der Drache die Hl. Jungfrau, die Geißlein der Wolf & Schwarze Löcher verschlucken ganze Galaxien.“

Eva Kittelmanns Quadratur-Symphonie bringt die Unendlichkeit des Denkens ähnlich in Fasson, wie die Pflastersteine den weiten Platz befestigen, sodass man ihn sichern Fußes durchqueren kann.

Eva Kittelmann, Die Quadratur des Denkens. Vermutungen. Lyrische Sequenzen, mit Illustrationen von Helga Lauth
Wien: Verlagshaus Hernals 2021, 149 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-902975-82-9

 

Weiterführende Links:
Verlagshaus Hernals: Eva Kittelmann, Die Quadratur des Denkens
OGL: Biographie Eva Kittelmann

 

Helmuth Schönauer, 08-01-2022

Bibliographie

AutorIn

Eva Kittelmann

Buchtitel

Die Quadratur des Denkens. Vermutungen. Lyrische Sequenzen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Verlagshaus Hernals

Reihe

Die Quadratur

Illustration

Helga Lauth

Seitenzahl

149

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-902975-82-9

Kurzbiographie AutorIn

Eva Kittelmann, geb. 1932 in Wien, lebt in Wien.

Helga Lauth, geb. 1936 in Wien, lebt in Wien.