Phil Klay, Den Sturm ernten

phil klay, den sturm erntenAm Cover jagen acht Kampfjets einen Vogel, der aus dem Bild zu flüchten trachtet. Die blauen Flugkörper huschen über einen gelben Grund, und beides erinnert an die ukrainische Fahne, die stets an der Kriegsgrenze auf und ab getragen wird.

Phil Klay nennt seinen Kriegsweltroman „Den Sturm ernten“. Diesen hat offensichtlich schon jemand erfolgreich gesät. Der Schauplatz ist jene Welt, die eine Weltmacht für ihre Kriege braucht, denn über allen Strategien steht ein Zitat des französischen Staatsmanns Léon Gambetta: „Um eine große Nation zu bleiben oder um eine zu werden, muss man kolonisieren.“ (473)

Eine recht einleuchtende These hilft beim Unterfangen, die einzelnen Kriegsschauplätze miteinander zu verbinden. „Um den einen offiziellen Krieg zu führen, muss man einen zweiten am Rand der globalen Wahrnehmung inszenieren.“ So führen die USA in Afghanistan einen offiziellen Krieg, der nach Einschätzung eines Protagonisten im Roman nie ein Ende haben wird. Gleichzeitig wird die Weltmacht mit Kommandotrupps in Kolumbien tätig, dabei ist es egal, ob es gerade Verhandlungen, Frieden oder Guerillakrieg gibt.

Zwischen diesen beiden Kriegsschauplätzen pendeln sowohl Journalisten als auch Kämpfer hin und her. Ihr Handwerk müssen sie je nach Lage embatted oder geheim abwickeln.

Eine Journalistin überlegt nach ihrem Einsatz angestrengt, welche Herausforderung sie künftig wagen soll, denn in Afghanistan hat sie schon alles gesehen. Drei Bombenanschläge hintereinander beispielsweise, und überall ist es ihr als erster gelungen, Interviews und Bilder zu machen. Ihre Wahl fällt auf Kolumbien, wo sie große Zusammenhänge zwischen den politischen Geheimabmachungen enthüllen wird, wohl wissend, dass ihr das niemand abnehmen oder gar drucken wird.

Ähnliches widerfährt einem US-Sanitäter, der zuerst im Irak und später in Afghanistan alles über Verstümmelungen und Amputationen lernt, ehe er sich in Kolumbien um Folteropfer und andere Kollateralschäden jenes Krieges kümmern wird, den alle einen „Übungskrieg“ nennen.

In vier Kapiteln rollen die beiden „Erzähler“ die Kriegseinsätze auf. Unterstützt wird ihre Erzählung von einer Mega-Montage aus unzähligen Schicksalen, Rekrutierungen und Exekutionen.

Als tragische Helden fungiert dabei die „Randbevölkerung“. Auch wenn jemand am Rand wohnt, heißt das nicht, dass er unserem Krieg entkommt, heißt es einmal sinnigerweise.

Die berührend grausamste Stelle spielt sich daher an der Grenze zwischen Privatschicksal und Kampfhandlung ab. Ein bei der Ordnungspolizei angeheuerter frisch verliebter Junge muss in seinem eigenen Dorf beim „Aufräumen“ helfen. Er hat sich gerade in die Tochter des Bürgermeisters verliebt, dieser soll nun hingerichtet werden. Zuvor aber muss die Tochter noch ein Stück zur Unterhaltung spielen. Man trägt das Klavier ins Feie und sie spielt wie im Western beim Lied des Todes. Als das Stück zu Ende ist, werden Klavier und Bürgermeister mit einem Schnitt der Kettensäge zertrennt. Der Rekrut muss das alles mitansehen und zerbricht auf offener Szene.

Private Schattierungen sind schädlich für das Kämpfen. So gilt in der US-Armee die Regel, dass du keine kleinen Kinder von dir zu Hause hinterlassen sollst, wenn du in den Kampf gehst. Du musst wenigstens warten, bis sie etwas größer sind, denn du wirst als ein anderer zurückkommen.

Beide, Journalistin aus USA und Kämpfer aus Kolumbien, machen übrigens die Erfahrung, dass erfahrene Kriegsveteranen weinerlich und hilflos werden, wenn ihnen irgendwo ein höchst eigenständiger Tumor wächst. Mit dem Krieg wissen sie umzugehen, mit diesem Geschwür aber nicht.

Der Autor Phil Klay hat selbst jahrelang als Marine „gearbeitet“ und war in der irakischen Provinz Al-Anbar stationiert. In seinem Roman leiden alle Figuren unabhängig von Herkunft und Nation daran, dass es das System ist, das sie letztlich frisst. Ein von der Guerilla eingefangener Junge in Kolumbien hat den gleichen patriotischen Überlebenswillen wie ein Highscool-Abgänger aus den USA, dem im Sozialgefüge zu Hause keinerlei Zukunft gewährt wird.

Die Kunst des Erzählens besteht im Roman „Sturm ernten“ darin, dass die Fakten zwar offen ausgelegt sind, die wahren Zusammenhänge aber als literarische Freiheit zusammenmontiert sind. So können die Probleme mit der Geheimhaltung und Staatstreue für den ehemaligen Marine umschifft werden.

Vom Stil her lässt sich dieses weltumspannende Erzählwerk am ehesten mit einem mexikanischen Narco-Roman vergleichen, die Gefühlslage beim Lesen mündet letztlich in Begriffe wie „unendlich grausam, sinnlos und verzweifelt“.

Phil Klay weckt mit seiner Schreib-Ernte jedenfalls jene Leser auf, die wieder einmal zu schnell durch die Nachrichten scrollen.

Phil Klay, Den Sturm ernten. Roman. A. d. Amerikan. von Hannes Meyer [Orig.: Missionaries, New York 2020.]
Berlin: Suhrkamp Verlag 2021, 495 Seiten, 25,70 €, ISBN 978-3-518-43003-3

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Phil Klay, Den Sturm ernten
Wikipedia: Phil Klay

 

Helmuth Schönauer, 14-01-2022

Bibliographie

AutorIn

Phil Klay

Buchtitel

Den Sturm ernten

Originaltitel

Missionaries

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Suhrkamp Verlag

Übersetzung

Hannes Meyer

Seitenzahl

495

Preis in EUR

25,70

ISBN

978-3-518-43003-3

Kurzbiographie AutorIn

Phil Klay, geb. 1983 in White Plains/NY, lebt in Brooklyn. / Hannes Meyer lebt in der Eifel.