Alexandra Millner (Hg.), Extended Rosei

alexandra millner, extended roseiWarum ist die eine Literatur groß und die andere bleibt unsichtbar? – Weil die eine mit viel Sekundärliteratur unterlegt ist und die andere als zu dünnhäutig nicht mit dem vorhandenen Besteck seziert werden kann. Sekundärliteratur ist das Schmiermittel einer bestimmten Sorte von Literaturmarkt und macht mit der Zeit aus jedem Text eine große Sache.

Sekundärliteratur ist zwar eine Gebrauchsliteratur, die in der Hauptsache das germanistische Treiben zwischen Kongressen, Archiven und Feierlichkeiten abbilden soll, für den lesenden Endverbraucher können solche Reader aber von gutem Nutzen sein, zeigen sie doch im Idealfall schon durch die bloße Aufgliederung eines Themas, wie man einer „großen“ literarischen Persönlichkeit begegnen könnte.

„Extended Rosei“, herausgegeben von Alexandra Millner, ist tatsächlich eine ansprechende Auseinandersetzung mit Peter Rosei, der zwar „immer schon da“ ist, aber wie schon immer kaum gelesen wird. Extended ist eine gute Umschreibung für das Auseinanderfalten der Rosei-Schriften.

Das Aufregende an Peter Rosei ist seine Unaufgeregtheit, mit der er nicht nur seine Themen auf sich zukommen lässt, sondern diese als Texte wieder von sich gibt. Seit einem halben Jahrhundert begleitet er die österreichische Gesellschaft mit seinen Romanen und Essays. Und reifere Jahrgänge bemerken mit Gefallen, dass sich ihr persönliches Leben oft mit dem Wirken des Peter Rosei parallel entwickelt hat.

Der Reader, zusammengestellt aus vierzehn Beiträgen renommierter Rosei-Forscher, stellt fünf Zugänge vor, mit denen man nicht nur Peter Rosei, sondern auch jedes „Großwerk“ in einem ersten Scann lesen könnte.

Unterwegssein (15) // Das Frühwerk ist eine österreichische Antwort auf das On the Road der Beatniks. Dazu kommt die Erfahrung aus der Biedermeier-Malerei, dass man entweder eine Landschaft malt oder ein Porträt, beides gleichzeitig ist für das österreichische Gemüt zu viel. So kommt es also zum schönen Vorhaben, eine Landschaft ohne Menschen zu entwerfen. In einer Skizze wird etwa die Begriffskette aus der österreichischen Bundeshymne umgedeutet, wo es ja um ein Land der Berge, Flüsse, Dome und Äcker geht, ehe große Söhne und Töchter die Landschaft ohne Menschen verunzieren. (19)

Im Unterwegssein treffen die Zustände Schreiben und Reisen aufeinander und verbinden sich, dabei bleiben ihre Aggregatszustände getrennt, sodass sie miteinander diskutieren können. Das Schreiben kann sich also erkundigen, was es mit dem Reisen auf sich hat und umgekehrt. Die Überlegungen zur Darstellung sind stets Teil der Darstellung, die dadurch zu einem dynamischen Vorgang wird. (51)

Allmählich wird das Scannen der Landschaft auf die sogenannte „innere Landschaft“ übertragen, was eine neue Qualität des „On the Road“ schafft.

Gesellschaft (77) // Die gesellschaftlichen „Grundzustände“ spielen in der österreichischen Literatur der 1980er Jahre zunehmend eine Rolle, es entstehen allenthalben politische Romane und erhabene Essays. Peter Rosei fasst dieses gesellschaftliche Wabern mit einer trockenen Chiffre ein: 15000 Seelen. Damit ist eine Floskel zitiert, mit der bei feierlichen Ritualen immer der heimische Ort angesprochen wird, ein Konglomerat aus Menschen, Besitz, Grundstück und Zeremonie. Diese Floskeln können sich zu einem Genre auswachsen, wenn ein Autor etwa einen Stadtroman-Zyklus angelegt, worin Simmering als proletarischer Vorort installiert wird. Die drei wichtigsten Begriffe für dieses Schreiben sind Gesellschaft, Geld, Gewalt (116). Alle drei stellen die kapitalistische Dreifaltigkeit dar und bilden 2014 das Grundgerüst des Romans die „Globalisten“.

Ökonomie (125) // Während üblicherweise über ökonomische Verhältnisse gerne von den „kalten“ Wissenschaften geforscht und spekuliert wird, wendet sich Peter Rosei in seinen Essays vor allem der fiktionalen Komponente zu, wenn er Standardwerke des Kapitalismus daraufhin abklopft, wo sich Moral herauslesen ließe. Die Frage, ob Kapitalismus und Moral überhaupt gemeinsam in einem Text dargestellt werden können, bleibt offen. Diskussionen über Geld und Moral neigen freilich zum Dahinlabern (128) auf sogenannten Stammtischen. Hingegen ermöglicht die Literatur eine intensive Auseinandersetzung mit dem Geld, weil dieses im Kern eine Fiktion ist. Der Kapitalismus als Stück Natur in der Kultur! (138) Dieser Ansatz ist zumindest für den Diskurs vielversprechend.

In einem eigenen Beitrag wird auf die großen Wirtschaftsromane eingegangen, Robinson Crusoe, Wilhelm Meister, Honoré de Balzac oder JR von William Gaddis bieten imposante Wirtschaftsgesamtschauen, mit denen Rosei durchaus mithalten kann. Der Roman „Geld!“ (2011) kümmert sich vor allem um das Rufzeichen, das hinter dem Befehl steckt. Soll man Geld auf Befehl haben, soll es jemand rausrücken, verwendet es jemand als letztes Wort beim Sterben? Der Zugang zum Geld bleibt rätselhaft.

Erzählen (175) // In einem Nacherzähl-Versuch wird ein Ausschnitt aus dem Globalisten-Roman aufbereitet für einen Film-Dialog. Dabei zeigt sich, dass die Dinge eigentlich für sich sprechen und der Autor (so wie später der Leser) ihnen bloß zuschauen muss, wie sie sich in jeweilige Sackgassen ihrer Existenz verrennen. Alle Gegenstände, Dinge und Handlungen enden in diesem Versuch als Puffer für ein totes Gleis.

Übersetzen (215) // Für die „großräumige“ Einschätzung eines umfangreichen Erzählkosmos ist die Übersetzung in wichtige Sprachen hilfreich. Bei der Übersetzung ins Russische kommt vor allem die seltsame Rhythmik des Peter Rosei zum Vorschein, bei der Übertragung ins Englische taucht das Musikalische wieder auf, das in den frühen Off- und Onroad-Stücken den Ton angibt.

Extended Rosei ist außerhalb der Lektüre für Fachleute, die ja in einem permanenten Karriereturnier aufeinander treffen, für unauffällig Lesende in zweifacher Hinsicht ein Gewinn:

- Der Ton der Beiträge ist zurückhaltend, wiewohl ständig Bewunderung auf der Tagesordnung steht.

- Die zitierten Textstellen sind tatsächlich markant und erhellend, sodass man zumindest die Farbgebung des Großwerks erahnt, wenn man mit diesem Reader einen Schnelllauf durch die Schreibgeheimnisse eines Autors startet.

Und Peter Rosei kann zufrieden sein, wir sind alle froh darum, dass er immerhin schon ein halbes Jahrhundert lang erzählend die Gesellschaft begleitet.

Alexandra Millner (Hg.), Extended Rosei
Klagenfurt: Ritter Verlag 2020, 254 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-85415-608-6

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Alexandra Millner (Hg.), Extended Rosei
Literaturhaus: Alexandra Millner
Wikipedia: Peter Rosei

 

Helmuth Schönauer, 06-05-2022

Bibliographie

Buchtitel

Extended Rosei

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2020

Verlag

Ritter Verlag

Herausgeber

Alexandra Millner

Seitenzahl

254

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-85415-608-6

Kurzbiographie AutorIn

Alexandra Millner, geb. 1968, lebt in Wien.

Peter Rosei, geb. 1946 in Wien, lebt in Wien.