Pascal Bruckner, Ein nahezu perfekter Täter

pascal bruckner, ein nahezu perfekter täter„Der Westen erfüllt alle Bedingungen, um als perfekter Täter zu gelten. Jenseits des Atlantiks hat er auf Basis des Genozids an der Urbevölkerung, der Versklavung von Afrikanern und der Segregation von Schwarzen eine neue Nation gegründet. Und auf Europa lasten vier Jahrhunderte Kolonialismus, Imperialismus und Sklaverei – obwohl es auch europäische Nationen waren, die sich als erste für deren Abolition einsetzten. Was die westliche Welt zum perfekten Sündenbock macht, ist vor allem, dass sie ihre Verbrechen nicht leugnet …“ (S. 12)

Pascal Bruckner geht der Frage nach, wie sich das Feindbild des „weißen Mannes“ in der westlichen Welt ausbreiten konnte und setzt sich mit den Folgen für das Zusammenleben der Menschen in Europa aber auch in anderen Teilen der Welt kritisch auseinander.

Im Zentrum der Betrachtungen und Überlegungen stehen vor allem die philosophischen und politischen Diskussionen und Verhältnisse in Frankreich, mit seiner kolonialen Vergangenheit und seinem großen Anteil an Zuwanderern aus afrikanischen und islamischen Ländern. Thematisch stehen die Fragen nach Diskriminierung, Rassismus, Sklaverei, Kolonialismus, weißen Privilegien und die Forderungen der ehemals unterdrückten Gruppen nach Reue, Abbitte, Wiedergutmachung und Umkehrung der früheren kolonialen Verhältnisse.

Anhand zahlreicher Beispiele gelingt es Bruckner aufzuzeigen, wie es vor allem linken politischen Gruppen und Intellektuellen gelingt, aus vergangenen Verbrechen während der Kolonialzeit im Namen des Neofeminismus, Antirassismus und Antikolonialismus für sich selbst Kapital zu kreieren. Dabei wird die Figur des weißen Mannes als Sündenbock und Täter zelebriert, der für alle Leiden der Vergangenheit und Gegenwart Rechenschaft abzulegen und zu büßen hat.

Ein weiterer Vorwurf an die Adresse des weißen Mannes ist, dass er den Planeten zerstört. Er begnügt sich nicht nur damit, Frauen zu unterdrücken, rassistisch und herrisch aufzutreten, er beutet auch die Umwelt aus und konzentriert einen Großteil des wirtschaftlichen und technologischen Reichtums in seinen Händen. (S. 16)

Im ersten Kapitel „Der männliche Satan“ wird der Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter nachgegangen. Bruckner stellt dabei dem plakativen Bild des Mannes als Vergewaltiger und Unterdrücker von Frauen die rechtliche Befreiung der Frauen und den Kampf gegen Gewalt an Frauen in der westlichen Kultur gegenüber. Dabei wirft er bestimmten feministischen Gruppen vor, nicht jede Gewalt an Frauen gleichermaßen zu verurteilen. Vor allem Männer die aus „armen, unterdrückten Ländern“ stammen, würden mildernde Umstände zugstanden. Ein anderes Phänomen der neuartigen Befreiungspolitik ist die sogenannte Cancel Culture, die eine Säuberung der Kunst von Sexismus und Rassismus prolongiert, die selbst vor Klassikern wie den Werken Shakespeares oder den Werken Picassos und Renoirs nicht haltmachen.

Kapitel zwei „Die Grausamkeit ist weiß“, bringt die gegenwärtige Tendenz, durch ideologische Etikettierung die Öffentlichkeit in eine andauernde künstliche Empörung zu versetzen, indem ständig neue Bereiche und Ereignisse entdeckt werden, die als sexistisch, rassistisch oder homophob denunziert werden. Dabei tritt eine Hierarchie geduldeter Meinungen und Verhaltensweisen zutage, an deren unterstem Ende der weiße Mann sich einzureihen hat, der bislang von seinen Privilegien profitieren konnte und nun zu schweigen hat. Dazu werden von den Anhängern postkolonialer Theorien die Menschen in unterschiedliche Identitäten der Herkunft, des Geschlechts und der sexuellen Ausrichtungen eingeteilt, die ihren Opferstatus definieren.

Der Rassenkampf hat den Klassenkampf verdrängt … (S. 176)

Das dritte Kapitel „Dem alten Europa die Augen schließen“ setzt sich mit der Gefahr auseinander, dass Europa in seiner Selbstherabsetzung zunehmend seine eigenen Werte aufgibt. Brückner betont die Bedeutung von Grenzen und einer geregelten Migration, ohne die ein Sozialstaat überfordert sei.

„Das Festlegen einer Grenze ist kein Akt der Feindseligkeit, sondern der Wunsch nach guter Nachbarschaft.“ (S. 232)

Nach einem differenzierten Blick auf die Geschichte der Sklaverei, in der nicht nur Europa, sondern auch Afrika und die arabische Welt Schuld auf sich geladen hat, plädiert Bruckner dafür, „den Sieg über Knechtschaft und Niedertracht feiern“ (S. 266) und nicht den endlosen Refrain des Leids zu singen, weil nur so ein zukünftiges friedliches Zusammenleben möglich sei.

Eloquent und anhand zahlreicher Beispiele aus der Vergangenheit und Gegenwart kritisiert Pascal Bruckner die aggressive Form gegenwärtiger Identitätspolitik und postkolonialer Theorien und spricht sich für einen selbstbewussten Neuanfang aus.

Wir haben allen Grund Europa, eine der größten Zivilisationen der Geschichte, zu verteidigen. (S. 285)

Ein überaus anregendes und lesenswertes Sachbuch, das sich mit den gegenwärtigen philosophischen, gesellschaftlichen und sozialen Problemen in Frankreich und der westlichen Welt detailliert auseinandersetzt und Standpunkte identitätsphilosophischer und postkolonialer Diskurse und Bewegungen kritisch in Frage stellt.

Pascal Bruckner, Ein nahezu perfekter Täter. Die Konstruktion des weißen Sündenbocks, übers. v. Mark Feldon [Orig. Titel: Un coupable presque parfait. La construction du bouc émissaire blanc]
Berlin: Edition Tiamat / Klaus Bittermann Verlag 2021, 328 Seiten, 26,80 €, ISBN 978-3-89320-281-2

 

Weiterführende Links:
Edition Tiamat: Pascal Bruckner, Ein nahezu perfekter Täter
Wikipedia: Pascal Bruckner

 

Andreas Markt-Huter, 30-08-2022

Bibliographie

AutorIn

Pascal Bruckner

Buchtitel

Ein nahezu perfekter Täter. Die Konstruktion des weißen Sündenbocks

Originaltitel

Un coupable presque parfait. La construction du bouc émissaire blanc

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Edition Tiamat

Übersetzung

Mark Feldon

Seitenzahl

328

Preis in EUR

26,80

ISBN

978-3-89320-281-2

Kurzbiographie AutorIn

Bekannt wurde Pascal Bruckner in Deutschland durch das mit Alain Finkielkraut verfasste Buch „Die neue Liebesunordnung“ (1979), in dem er die „genitale Tyrannei“ Wilhelm Reichs ablehnte. Er gehörte den neuen Philosophen an und ist seit jeher ein Verfechter der europäischen Aufklärung, des Laizismus und der universellen Menschenrechte. Bruckner Wurde für seine Bücher mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.