Bernhard Hüttenegger, Rockall

bernhard hüttenegger, rockallWas für ein entlegener Ort. Rockall ist ein Felsen im Nord-Atlantik, der mit knapp achthundert Quadratmetern vielleicht so groß ist wie ein passables Penthouse. Freilich präsentiert sich der Felsen als so steil, dass man als Mensch darauf kaum richtig stehen oder im Biwak liegen kann.

Bernhard Hüttenegger nimmt diesen realen Felsen, der vor allem bei Survival-Wettbewerben Furore gemacht hat, um darauf eine Parabel vom Verlöschen des Lebens abzusetzen.

Absetzen ist das passende Wort, der Ich-Erzähler wird von einem Helikopter auf den Felszacken geflogen und ausgesetzt, der Überlebenssack wird abgeworfen. Plötzlich erhalten so hoch-philosophisch existenzielle Begriffe wie ausgesetzt und ausgeworfen eine nackte Überlebensbedeutung. Der Erzähler ist beim sogenannten „Rockall-Experiment“ berücksichtigt worden.

Der Roman setzt mit dem Auswurf-Schock des Erzählers ein. Während er das Wetter mit allen Sinnen zu erfühlen versucht, ordnet er die ersten geographischen Fakts, die Insel ist bis auf Vögel unbewohnt, steil, eine Karikatur jener üppigen Isel des Robinson Crusoe. So besteht der Überlebenssack richtigerweise aus Trockennahrung, später wird man sich wohl an Meerestiere und Vögel heranmachen müssen.

Der erste vernünftige Satz den der „Ausgesonderte“ (22) faselt, handelt vom Schreiben, das er unbedingt angehen muss, um nicht wahnsinnig zu werden. Es geht bei diesem existentiellen Spiel darum, sich selbst möglichst lange auszuhalten, ohne wahnsinnig zu werden.

Dieser letzte Ort einer zugrunde gegangenen Menschheit spielt ähnlich Atlantis außerhalb der Geschichte. Wo sich bei Atlantis der Mythos in die Vergangenheit erstreckt, geht es bei Rockall um eine als Parallelwelt gedachte Zukunft.

Große Teile der Infrastruktur sind im Ozean versunken, manche wohnen in einer Geistersiedlung unter Wasser, andere halten den Flugverkehr an den Rand der entlegenen Siedlungsfläche aufrecht. Über Glasgow werden Plattformen und Labors versorgt, überall sind die Menschen als Einzelpersonen ausgesetzt, schürfen Rohstoffe oder arbeiten an der Endzeit-Psyche, wie der Ich-Erzähler notiert.

Gerade weil die Nahrungsmittel zur Neige gehen und die Tiere sich nicht fangen und essen lassen, besteht der Tagesablauf aus permanenter Wetterbeobachtung. Einmal kommt ein Helikopter, aber er wirft lieblos ein paar Gasflaschen ab als Aufforderung, endlich mit dem Jagen zu beginnen.

Tatsächlich bastelt sich der Held aus dem Mythos alter Überlebenssagen eine persönliche Fischfanggeschichte zusammen, es gelingt, mit den Begriffen der Überlieferung ein paar Nahrungsmittel für die Gegenwart zu gewinnen. Nach einem furiosen Sturm sind Fische auf den Felsen gespült und auch ein paar zerbrochene Vögel gehen als Kadaver her.

Ein seltsamer Vogel watschelt clownesk um den Helden, der mit ihm zu sprechen beginnt und ihn Charlie nennt wie ein Polarforscher sein finales Dahindösen.

Nach jedem Unwetter tun sich neue Höhlen auf, der Felsen ist in ständiger Bewegung. Plötzlich verschüttet ein solches Höhlenmaul den Ausgesetzten und klemmt ihm den Arm ab. Mit den letzten Kräften gelingt es ihm, sich selbst zu amputieren und den Arm zu opfern.

Ab da ist vollends Delirium angesagt. Ein Schiff fährt vorbei und grinst. Der Vogel redet wie ein Freund aus früheren Zeiten, und der Held stellt mittendrin fest: Ich habe Charlie gegessen. Der Verzehr dieses Freundes fühlt sich an wie Kannibalismus. – Der Roman verdunstet in einem Openend.

In der sogenannten Nachbemerkung freilich wird ein Rahmen gesponnen, wie diese fiktive Geschichte als Quelle in die reale Welt gelangen könnte. In einem Heimatmuseum auf den Hebriden findet sich ein Manuskript, in dem die Grundfassung der Geschichte niedergelegt ist. Geheimnisvolle Kladden eines Verschollenen runden den Fund ab, der das Erzählte glaubwürdig wirken lässt. Freilich wurde auf Rockall keinerlei Leiche gefunden, die das Experiment beweisen könnte.

Bernhard Hüttenegger lässt den Rockall-Erzählstrang offen, sodass persönliche Überlegungen des Lesers andocken können.

Beispielsweise kann ein Sportler während der Lektüre seine eigenen Grenzerfahrungen ins Spiel bringen, ein Geograph seine eigenen Expeditionen.

Und ein schlichter Pensionist fühlt sich heftig angesprochen, ist doch Rockall ein Musterbeispiel für den Rentenabschnitt eines Lebens. Ausgesetzt, hilflos, von jeglichem beruflichen Sinn abgeschnitten sitzt er da und macht seine Notizen, die davon handeln, die nackte Existenz auszuhalten, ehe das Wetter wieder alles umkrempelt.

Bernhard Hüttenegger, Rockall. Roman
Graz: Edition Keiper 2022, 125 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-903322-63-9

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Bernhard Hüttenegger, Rockall
Wikipedia: Bernhard Hüttenegger

 

Helmuth Schönauer, 16-07-2022

Bibliographie

AutorIn

Bernhard Hüttenegger

Buchtitel

Rockall

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

125

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-903322-63-9

Kurzbiographie AutorIn

Bernhard Hüttenegger, geb. 1945 in Rottenmann, lebt in Wien und Kärnten.