Alois Schöpf, Das Böse im Guten

alois schöpf, das böse im gutenDie meisten Tirolernden werden es gar nicht mehr wissen, was das ist: Diskutieren, Nachdenken, mit Frohsinn eine unübliche Meinung über sich ergehen zu lassen. Spätestens seit der Lockdown-Epoche sind auch in Tirol die Menschen in psychischen Einzelkabinen untergebracht, der digitale Informationsaustausch ist roh und brutal, der vielbeschworene Vereinsgeist ausgeflogen, seit man sich nur mehr zufällig trifft, und die öffentliche Diskussion ist ein Desaster.

Alois Schöpf setzt seit zwei Jahren diesem Befund ansatzweise etwas entgegen, indem er für seinen „schoepfblog.at“ Denk-affine Menschen einlädt, Themen zu finden, zu entwickeln und für den öffentlichen Diskurs aufzubereiten.

Hintergedanke dabei ist, dass sich das eine oder andere diskutierte Problem vielleicht in den Themenbottich einer Partei verirren und so in politischen Gremien einer Lösung zugeführt werden könnte.

Als wöchentlich geforderter Glossist leistet sich der Blog-Herausgeber den Luxus, das Genre „Essay“ zwischendurch auf die ungestüme Gegenwart herunterzubrechen und Nerven zu bewahren, indem Pro und Contra, Links und Rechts, Ignoranz und Wahnsinn innerhalb eines Textes einander gegenübergestellt werden in der Hoffnung, es möge etwas Gutes dabei herauskommen.

Dieses „Gute“ hat sich auch im Titel-gebenden Essay „Das Böse im Guten“ eingenistet (18). Hinter der Sammlung aus etwa sechzig Texten der letzten beiden Jahre steckt die Idee, dem schnelllebigen Medium Blog ein wenig Zeit zu geben, um die Kunststücke einsickern zu lassen in die Zeitgeschichte. – Denn ein Buch wird immer zweimal gelesen, einmal vom Individuum als persönliche Leseerfahrung, ein andermal von der kollektiven Zeitgeschichte als Teil eines öffentlichen Kommentars.

Als Beispiel eines notwendigen Diskurses mag dieses „Böse im Guten“ dienen. Mit dem Vokabular der Barmherzigkeit und Menschenliebe tritt darin ein vormaliger Caritas-Direktor auf, der sich semi-privat auf Facebook vollends im Ton vergreift. Als nämlich ein Höchstgericht in Österreich verlangt, den Umgang mit der Sterbehilfe gesetzlich neu zu formulieren, wird der Caritas-Boss zum militanten Katholiken und tritt im sprachlichen Kleid der Euthanasie-Euphemisten gegen die geplante Ermöglichung der Sterbehilfe auf.

Hier fragt der Essay trocken, wie etwas gut und menschlich sein kann, wenn das menschliche Recht, das Leben selbst zu beenden, mit fragwürdigen Katechismus-Merksetzen denunziert wird. Das Böse vermag sich durchaus hinter Sätze des Guten zurückzuziehen, um die Menschen zu übertölpeln.

Ähnliche Auseinandersetzungen, in denen Personen sich halb auf das Private zurückziehen, um dann einen öffentlichen Parameter zu setzen, ermöglicht das Genre „Literarische Korrespondenz“.

Ob ein Dinosaurier des Bühnenwesens, eine hörgeschädigte Vize-Landeshauptmännin oder die Innsbrucker Vizebürgermeistern, sie alle werden unverschämt privat gefragt, wie sie zu ihrer Privatmeinung kommen, die sie als gültigen öffentlichen Konsens ausgeben.

Eine dritte bemerkenswerte Form des Essays steuert der Autor an, wenn er öffentliches Material wörtlich nimmt. Vertretern der „Landesdroge Tourismus“ wirft er multiples Organversagen vor, wenn die Realität nachweislich ausgeblendet ist, damit die Funktionäre auf die eigenen Werbe-Bilder hereinfallen können.

Den Essays ist gemein, dass sie teilweise als erste und einzige einem „War-immer-So“ eine neue Überlegung gegenüberstellen. Allmählich kristallisiert sich das Hauptproblem der Tiroler Gegenwart heraus: Ob in den Segmenten Politik, Oper, Literatur, Tourismus oder Universität – es gibt keinen Diskurs.

Die beiden Tagesmedien TT und ORF sind durch ihre Aufgabenstellung gelähmt und gefesselt. Beide Medien senden nur das als Nachricht, was sie zuvor selbst als Event veranstaltet haben.

Die Universität ist durch die Pandemie zu einer Trafostation geworden, auf der diverse Bildschirme für Konferenzen gesteuert werden, ein Kontakt zur sogenannten Öffentlichkeit findet höchstens mit witzigen Forschungsbonmots statt.

Die Künste künsteln vor sich hin, jeder macht, was er für Kunst hält. Im Sprichwort heißt es: Tirol hat jede Menge Künstlernde, aber keine Kunst.

Das kulturelle Magazin des Landhauses, das sogenannte „Quart“, erscheint überhaupt in aufriss-sicherer Folie, die jegliche Sichtung des Innenlebens verunmöglicht.

In dieser Stimmung wirken die Essays wie Leuchtkörper über einem zusammengefallenen Netz. Selbst wenn sich manches auf die Schnelle nicht reparieren lässt, so sieht man durch die Texte wenigstens, wo die Schwachstellen liegen für einen späteren Netzaufbau.

Die Verdichtung der Blogeinträge zu einem durchgehenden Text ergibt einen hybriden Band zur Zeitgeschichte. Einerseits zeigen die Texte durch ihre Fließgeschwindigkeit als Fließtext den Abkühlungsgrad des Stoffes, andererseits liegt der Hauch von Zeitlosigkeit über den Themen.

Ein Archivar-Witz sagt: Du darfst keine hitzigen Bücher ins Archiv stellen, sonst brennt dir dieses ab.

Alois Schöpfs Essayband „Das Böse im Guten“ ist heiß und darf folglich noch nicht ins Archiv. Es muss zuvor von jenen gelesen werden, denen eine gute Denktemperatur im Land ein Anliegen ist.

Alois Schöpf, Das Böse im Guten. Ausgewählte Essays 2020 – 2022, mit einem Vorwort von Elias Schneitter
Zirl: Edition BAES 2020, 310 Seiten, 24,00 € ISBN 978-3-9505283-3-6

 

Weiterführende Links:
Edition BAES: Alois Schöpf, Das Böse im Guten
Wikipedia: Alois Schöpf

 

Helmuth Schönauer, 01-10-2022

Bibliographie

AutorIn

Alois Schöpf

Buchtitel

Das Böse im Guten. Ausgewählte Essays 2020 – 2022

Erscheinungsort

Zirl

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition BAES

Seitenzahl

310

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-9505283-3-6

Kurzbiographie AutorIn

Alois Schöpf, geb. 1950, lebt in Lans.