Sophie Reyer, Gartentage

sophie reyer, gartentageIn einem Buchhändlerwitz heißt es, wenn im Frühjahr und Herbst die Einkäufer die Katalogvorschauen nach dem Namen Sophie Reyer durchblättern, kommt er nicht zweistellig oft vor, wird es eine magere Saison mit verarmter Literatur. Der Stimmungsindex wird in diesem seltsamen Witz „Rayometer“ genannt.

Tatsächlich hat Sophie Reyer mittlerweile in allen österreichischen Verlagen publiziert, zudem gibt es kein Genre, das sie nicht schon einmal beackert hätte. Aus dieser Emsigkeit resultiert auch die Einschätzung ihrer Arbeit als Übungsliteratur. Die Autorin ist viel mit Schreibwerkstätten unterwegs und übt dabei mit den Klienten alle nur erdenklichen Textsorten. Positiv lässt sich daraus eine Literaturtheorie formulieren: Sophie Reyer verfasst keine abgefertigte Literatur, sondern Vorübungen dazu.

Eine andere Einschätzung spricht von ihren Texten als Musikstücken, die ständig geübt und geprobt werden müssen, es kommt dabei weniger auf den Inhalt des Stücks an, als auf die Fingerübung.

Der Roman „Gartentage“ ist jedenfalls ein mitreißendes Stück voller Leichtigkeit und Verspieltheit. Es geht in diesem innigen Ohrwurm des Zusammenlebens um das Aufeinandertreffen dreier Menschen in fordernden Lebenssituationen. Der drogensüchtiger Enkel Jonathan wird zur Beruhigung seines Drogenkonsums der dementen Großmutter Elvira beigestellt, damit er soziale Gefühle entwickeln kann. Gleichzeitig kümmert sich die ungarische Altenpflegerin Marika in einer fremden Sprache, Gefühle und gute Stimmung zu erzeugen. Im Zweifelsfalle spricht sie jeden mit „Darling“ an.

Fast von selbst entsteht daraus ein musikalischer Ablauf, denn die Sätze haben nichts miteinander zu tun, da jeder in seiner Klang-Blase etwas anderes zum Schwingen bringt.

Der Roman hält sich an den Dreierschritt Eröffnung, Handeln, Ausklinken. Die drei Protagonisten ziehen jeweils eine Situation an Bord und versuchen damit fertig zu werden, manchmal geht es in Richtung innerer Monolog, dann kommt schon wieder ein Erzählprotokoll zum Zug, das von Außen in die Figur eingreifen muss. Gerade bei der dementen Großmutter ist keine innere Reflexion möglich, die fungiert als Stichwortgeberin für entgleiste Situationen.

Die Handlung beschränkt sich auf ein paar „Gartentage“, die der Art von Kammermusik über die Bühne gehen. Jonathan ist von seinen Eltern zur Großmutter gebracht worden, Marika hat sich vor ihrer Arbeitgeberin einschulen lassen in den schweren Fall „Kößler“, womit die Großmutter Elvira gemeint ist. Deren Sohn misstraut der Pflegekraft, weil sie nicht richtig Deutsch kann und deshalb wahrscheinlich nicht verlässlich ist.

Gerade als die Gartentage so halbwegs ins Laufen kommen, taucht ein Bekannter Jonathans als Drogenhändler auf und versorgt alle mit Stoff. Bei dieser Gelegenheit raubt er der Großmutter wie in einem schlechten Märchen die Kohle und hinterlässt die geplante Pflegeidylle in Schockstarre. In der Folge kommen Jonathan und die Pflegerin ins Gespräch, während sie die Patientin versorgen, stellt sich ihnen die Frage, ob das der Sinn des Lebens ist. Marika hat ihren Mann durch Krebs verloren, Jonathan hat außer Drogen noch nichts vom Leben als Angebot erhalten.

Eine seltsame Erotik geht auf, Berührungen können pflegende Handgriffe sein, aber auch Fundamente für heftige Sensorik. Vielleicht brauchen die Pflegenden diese Berührungen dringender, als die Gepflegte.

Jedenfalls hauen die beiden Berührten kurz ab, als sie die Situation um die Großmutter nicht mehr aushalten, bei ihrer Rückkehr liegt diese prompt verletzt und enttäuscht vor dem Bett wie ein Kind, das den spontanen Ausgang der Eltern nicht duldet. Bald darauf feiert Elvira Geburtstag, sie kriegt aber nicht viel mit, außer dass es wieder Sätze und Gesichter aus der Kindheit sind, die da mit der Torte serviert werden.

Die Gartentage neigen sich dem Ende zu. Marika ist schlecht bezahlt und wird wieder nach Ungarn geschickt, Jonathan hat erstmals im Leben über den Rand des Daseins geschaut und steckt der Pflegerin noch etwas Geld zu, sie hat ihm die Augen geöffnet für die schönen Dinge des Lebens, Musik zum Beispiel.

Sophie Reyer macht aus einer bedrückenden Situation ein musikalisches Erlebnis. Wer beschäftigt sich schon freiwillig mit Demenz, Sterben und sinnlosen Sätzen? Aber die bedrückende Situation bringt ein erstaunlich luftiges Element zum Klingen: Vielleicht sind wir alle in einem Garten ausgesetzt, der mit seltsamen Gräsern und Bäumen bewuchert ist, die sich uns zuneigen, während wir durchgehen.

Sophie Reyer, Gartentage. Roman
Graz: Edition Keiper 2022, 206 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-903322-52-3

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Sophie Reyer, Gartentage
Wikipedia: Sophie Reyer

 

Helmuth Schönauer, 23-04-2022

Bibliographie

AutorIn

Sophie Reyer

Buchtitel

Gartentage

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

206

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-903322-52-3

Kurzbiographie AutorIn

Sophie Reyer, geb. 1984 in Wien, lebt in Wien.