Marlen Schachinger, Störung
Am Cover hat sich eine Barbie-Puppe aufgehängt und signalisiert einen sehr markanten Abgang.
Der Abgang gilt vor allem dem Verlag. Mit "Störung" stellt die tapfere Edition Pangloss ihr Dasein ein, dabei ist Pangloss jener wahnwitzige Philosoph, der tatsächlich glaubt, dass wir in der besten aller Welten leben.
Marlen Schachinger erzählt in ihren 17 Kurzgeschichten von Störfällen im Alltagsbetrieb des Lebens. Die Geschichten schauen an der Oberfläche unversehrt und normal aus, aber nach einigen Absätzen sieht man als Leser die Risse in den Abläufen, die Brüche der Heldinnen, und den sedierten Wahnsinn in der auf harmonisch getrimmten Kluftlandschaft.
Im Identitätsdrama ?neue Rosen? geht eine junge Frau den vertuschten Spuren ihrer Herkunft nach, irgendwo hat sie einen verblassten Namen aufgeschnappt und eine Ortsangabe. Als sie sich im besagten Dorf nach dem Namen erkundigt, stellt sich heraus, dass sie die Tochter eines Pfarrers ist.
Im Spital liegen die Frauen aufgefädelt nach dem Grad ihrer Störungen, es ist nicht gewiss, ob sie auch richtig behandelt werden, aber letzten Endes wird jeder Defekt mit einer passenden Krankengeschichte unterlegt. Lapidar heißt es: ?Frau Roites wird am gleichen Tag in ein anderes Krankenhaus überwiesen, wo sie ihr Gewicht durch strengere Diät und täglichen Sport verringern soll.
Mittwochs wird man Lisa Schober mitteilen, sie habe Epilepsie. Sie wird diverse Pillen schlucken. Weiß. Grün. Orangerot. Sechs Jahre danach wird sie umziehen, ein anderer Arzt. Er wird eine Fehldiagnose feststellen: Lisa Schober ist physisch gesund.? (52)
?unter.druck? heißt eine makabere Geschichte, worin ein gewisser Onowski langsam vom Leben in den Tod übergeht. Irgendwie denkt man bei so einem Namen an den biblischen Onan, der seine Säfte sinnlos ablässt, aber dieser Onowski liegt erbärmlich im Bett, wird immer schwächer und hat nur noch ein Glöcklein als Verbindung zur Außenwelt. Natürlich läutet er immer heftiger, je schwächer er wird. Und noch während er stirbt, werden die Gegenstände außer Hauses getragen, die Erbschleicher sind am Werk, das Leben endet in kompletter Verstörung.
Wenn eine Mutter behauptet, dass sie Weihnachten liebt, dann ist das in heutigen Zeiten durchaus etwas Ungewöhnliches im Verstörungskalender. Aber dann kommt doch Stress auf und geht in Floskeln über. ?Friede, Freude Eierkuchen. Erlöse mich. Oder ist das Ostern?? (69)
In einem Familienepos im Miniformat singt Großmutter über Jahrzehnte hinweg magische Zeilen scheinbar verschollener Lieder. Im Alltagsgeschäft wird knapp geheiratet, man ist permanent unangenehm mit jemandem verwandt und die Zeit geht ihren holprigen Lauf. An entscheidenden Stellen nimmt schließlich die Enkelin Großmutters Geige aus dem Kasten und spielt einen Widerpart gegen die Zeit.
Marlen Schachingers Geschichten sind wie diese prickelnden Erbsen, auf denen die Prinzessin verzagt. Sie sind klein, abgerundet, freundlich, aber eben genau an jenen Stellen platziert, wo sie masochistisch lästig sind und Irritation auslösen. Kurzgeschichten dieser Art sind ständig um uns, wenn wir klug sind, gehen wir ihren Anliegen nach.
Marlen Schachinger: Störung. Kurzgschichten.
Gunskirchen: Edition Pangloss 2004. (= EP 20). 150 Seiten. EUR 16,-. ISBN 3-901132-25-2
Helmuth Schönauer, 20-01-2005