Judith Herrin, Ravenna. Hauptstadt des Imperiums, Schmelztiegel der Kulturen

judith herrin, ravenna„Ravenna war ein Knotenpunkt allererster Güte, der die enormen Kräfte, die das Mittelmeer teilen und der westlichen Hälfte der römischen Welt neue Bedeutung verleihen sollte, konzentrierte und zum Teil auch definierte. Die Geschichte Ravennas ist daher nicht bloß die Geschichte einer Stadt, ihrer Herrscher und ihrer Bewohner. Sie erfordert eine viel größer angelegte Darstellung der unterschiedlichen Kräfte und Mächte, die hier gebündelt wurden und Ravenna zum Schmelztiegel Europas machten.“ (S. 27)

Die renommierte englische Althistorikerin und Byzantinistin Judith Herrin stellt in ihrer Monographie „Ravenna“ die politische, religiöse und kulturelle Entwicklung einer außergewöhnlichen Stadt zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert vor, die ihre Blütezeit im 5. und 6. Jahrhundert als Hauptstadt des Weströmischen und gotischen Reiches erlebt hat und heute noch seine Besucher mit ihren Baudenkmälern begeistert.

In neun Kapiteln stellt Judith Herrin die Entwicklung Ravennas vom Aufstieg zur Hauptstadt des Weströmischen Reichs bis zum beginnenden 9. Jahrhundert dar. Das 1. Kapitel „Ravennas Aufstieg zur Hauptstadt des Weströmischen Reichs“ zeigt, wie der Niedergang Roms gleichzeitig die Bedeutung Ravennas als Zentrum des Weströmischen Reichs förderte. Ausschlaggebend dafür waren die Ausrichtung der Stadt an der Adria nach Konstantinopel, dem neuen Machtzentrum des römischen Reichs im Osten. Daneben kommen auch die religiösen Auseinandersetzungen um den wahren christlichen Glauben, der im Gegensatz zwischen katholischen und arianischen Bekenntnissen zu politischen Spannungen führte.

Als erster politischer und kultureller Höhepunkt Ravennas in dieser Zeit darf die Herrschaft Galla Placidias betrachtet werden, deren Mausoleum und Kirche Santa Croce heute noch zu bewundern sind. Nach einem Kapitel über den Aufstieg der Bischöfe bis zum Ende des 5. Jahrhunderts wird Ravenna als Hauptstadt des Ostgotischen Reichs unter Theoderich dem Großen gezeigt. Die weitere Geschichte zeigt die Rückereroberung der Stadt unter Kaiser Justinian und der Niedergang der arianischen Kirchen.

Weitere Stationen sind die Eroberung Norditaliens durch die Langobarden sowie die Gründung des Exarchats Ravenna, das gemeinsam mit anderen Städten wie Rom, Neapel, Genua u.a. die byzantinischen Gebiete in Italien verteidigen sollten. Der Aufstieg des Islam löste auch im Christentum theologische Kontroversen aus, die in einer zunehmenden Spaltung zwischen östlicher und westlicher Theologie mündete. Den Ausklang macht der allmähliche Abstieg Ravennas nach der Regierung Justinians II. mit der Eroberung durch die Langobarden bis zum Besuch Karls des Großen in der Stadt.

Judith Herrin gelingt es eindrucksvoll den Aufstieg und Niedergang der Stadt Ravenna vom 5. bis zum beginnenden 9. Jahrhundert anschaulich und detailliert darzustellen. Dabei werden die künstlerischen und architektonischen Errungenschaften ebenso aufgezeigt, wie die politischen Ereignisse sowohl in der großen Politik im Weströmischen Reich wie in der Stadtentwicklung selbst. Gezeigt wird die Bedeutung Ravennas als große Handelsstadt an der Adria sowie als Brennpunkt religiöser Gegensätze zwischen verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen.

Ein überaus empfehlenswertes Sachbuch, das durch sein fundiertes Fachwissen ebenso überzeugt wie durch seine klare präzische Sprache. Anschauliches Kartenmaterial und ein umfangreicher Bildteil runden das Erscheinungsbild des ausgesprochen lesenswerten Sachbuches ab und laden zu einem Besuch der Stadt an der oberen Adria ein.

Judith Herrin, Ravenna, Hauptstadt des Imperiums, Schmelztiegel der Kulturen. 62 Abb., übers. v. Cornelius Hartz [Orig. Titel: Ravenna. Capital of Empire, Crucible of Europe]
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2022, 640 Seiten, 40,10 €, ISBN 978-3-8062-4416-8

 

Weiterführende Links:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Judith Herrin, Ravenna
Wikipedia: Judith Herrin
Wikipedia: Cornelius Hartz

 

Andreas Markt-Huter, 12-06-2023

Bibliographie

AutorIn

Judith Herrin

Buchtitel

Ravenna, Hauptstadt des Imperiums, Schmelztiegel der Kulturen

Originaltitel

Ravenna. Capital of Empire, Crucible of Europe

Erscheinungsort

Darmstadt

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Übersetzung

Cornelius Hartz

Seitenzahl

640

Preis in EUR

40,10

ISBN

978-3-8062-4416-8

Kurzbiographie AutorIn

Judith Herrin ist eine mehrfach ausgezeichnete und sehr renommierte Althistorikerin, Archäologin und Byzantinistin. Bis zu ihrer Emeritierung war sie Professorin für Spätantike und Byzantinische Studien am King’s College in London. Für ihre bahnbrechenden Arbeiten über die frühmittelalterliche Mittelmeerwelt erhielt die vielfach ausgezeichnete Erzählerin und glänzende Stilistin 2016 den als „holländischen Nobelpreis“ bezeichneten Heineken-Preis für Geschichte.

Cornelius Hartz studierte Latein, Griechisch und Anglistik an der Universität Hamburg wo er 2007 Arbeit promovierte. Anschließend war er als Verlagslektor im Verlag Philipp von Zabern in Mainz und arbeitet heute als freier Autor, Lektor und Übersetzer in Hamburg.