Jürgen Lagger, Öffnungen

Buch-Cover

In Politik und öffentlichem Ansprachenverkehr gibt es kaum ein Wort, das so innig verwendet wird wie Öffnungen.

Ob es sich nun um Ostöffnungen, Öffnungen am Arbeitsmarkt oder kulturelle Öffnungen handelt, immer soll dieses Wort auch einen leichten Durchzug verströmen, als ob es selbst eben eine Öffnung entfahren wäre.

Jürgen Lagger nennt seinen Roman einen Maßnahmenkatalog, sein Held L. ist gezwungen, ständig Maßnahmen gegenüber seinem Außen zu setzen. Der Held sitzt irgendwie erbärmlich in seinem Körper und hat nur ein paar Öffnungen, durch die er mit dem Umfeld korrespondieren darf. Noch dazu ist jeder Öffnung eine eigene Funktion zugeordnet, so dass es gar nicht leicht ist, den starren Körper gegenüber einer steifen Umwelt halbwegs lebendig und manövrierfähig zu halten.

Offensichtlich ist die Methode, leichte Bestandsaufnahmen in kleinen Aufsätzen zu verfassen, am ehesten geeignet, in den Ritzen des Körpers so etwas wie Überlebenskunst zu installieren. Bereits in der Grundschule werden ja die Schüler angehalten, die wichtigsten Dinge der Umgebung zu kommentieren, in diesem Stil gibt es Analysen über Türen, über Vögel, über Beziehungen, über Dichtungsmittel, über Regelmäßigkeiten, über Susanne, über L.

Wichtig ist dieses ?über?, eine Art Überdrüber? aber auch der Hinweis, dass man über schreiben muss, will man über einer Sache stehen. Oft reicht ein Beitrag nicht, so wird eben unermüdlich nachgefasst, über L. gibt es beispielsweise 28 Einträge, über Sichtbares 8 über Eier 6.

Manche Themen verschwinden wieder oder werden aufgelassen wie die Vögel, die nur am Beginn des Romans Aufmerksamkeit erheischen, gegen Ende hin dreht sich alles nur mehr um den Helden L., der sich aus allen Poren eröffnet und sich selbst verströmt.

Die einzelnen Einträge sind als Fragment angelegt, setzen irgendwo ein und hören
wieder auf, wie wenn schon alles gesagt wäre oder es plötzlich nicht mehr wichtig ist.

Hinter dem wuchtigen Begriff ?Maßnahmenkatalog? tun sich freilich wunderbar scharfe Notizen auf, die manchmal ein Gedicht sind, dann wieder ein genau kalkulierter Lexikoneintrag, oder eine Schlauheit aus dem Alltagsleben.

?# über Türen (6) // Stünden andererseits alle Türen ständig offen, so L., dann zöge es wahrscheinlich in einem fort, das wäre ja nun auch kein wünschenswerter Zustand, sicher nicht.? (97)

Jürgen Laggers Roman über einen an sich selbst recherchierenden Helden ist geradezu sensationell witzig. Je germanistisch kaputter Mister L. wird, umso befreiter wird schließlich der Leser. Es gibt tatsächlich dieses im Maßnahmenkatalog einforderte Über-Loch, durch das die Menschen miteinander perfekt korrespondieren können: nämlich durch die Lektüre.

Jürgen Lagger, Öffnungen. Ein Maßnahmenkatalog.
Graz: Droschl 2005. 129 Seiten. EUR 16,-. ISBN 3-85420-680-1.

 

Helmuth Schönauer, 24-02-2005

Bibliographie

AutorIn

Jürgen Lagger

Buchtitel

Öffnungen. Ein Maßnahmenkatalog

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Droschl

Seitenzahl

129

Preis in EUR

EUR 16,-

ISBN

3-85420-680-1

Kurzbiographie AutorIn

Jürgen Lagger, geb. 1967 in Villach, lebt in Wien.