Egyd Gstättner, Der große Gogo

egyd gstättner, der große gogo„Eine ruinierte Karriere ist noch kein zerstörtes Leben!“ (56) – Nirgends lässt sich der Sinn des Lebens besser suchen als auf den Spielfeldern Literatur und Fußball.

Egyd Gstättner inszeniert zwischen den gesellschaftlich viel diskutierten Parallel-Universen Literatur und Fußball einen biographischen Roman, der nach seinem semi-fiktionalen Helden „der große Gogo“ überschrieben ist. Die Figur ist bestens in Wikipedia versteckt. Sucht man nach Goggerwenig, wie der „Gogo“ im Roman heißt, stößt man auf ein Kärntner Gasthaus in der Einöde. Verfolgt man den Tipp, wonach es sich um Günther Golautschnig aus Eberndorf handelt, so stößt man auf einen leeren Artikel. Der Fußballer Gogo ist also im fiktionalen Raum angesiedelt, aus dem ein verletztes Knie in die Realität herausragt.

Der Kärntner Fußballer Golautschnig wird erstmals ins Nationalteam einberufen, es geht gegen die Türkei, er zieht sich eine schwere Verletzung zu, von der er sich nie mehr erholen wird. Im Spital wird er operiert und trifft auf den Schriftsteller Edyd Gstättner, dem man gerade die Nasenlöcher unter Narkose operiert hat. Aus dieser Zimmerbegegnung entsteht ein Romanprojekt voller Überraschungen.

Gogo erzählt in der Folge aus der Ich-Perspektive von seiner Fußball- und Lebenskarriere. Nach der Euphorie, in der Nationalmannschaft gespielt zu haben, verläuft die Karriere immer flacher und geht schließlich gar den Bach hinunter.

Quasi als Glücksgegenspieler entwickelt sich ein gewisser Polster zu einem Star, der beim Türkenspiel noch nicht sonderlich aufgefallen ist. Täglich kann Gogo jetzt nachlesen, was aus ihm hätte werden können, wäre er Wiener gewesen und hätte sich nicht verletzt.

Die Verletzung bleibt eine Dauerbegleiterin, die Vereine werden immer kleiner und peripherer, selbst Innsbruck und Klagenfurt sind aus Wiener Sicht keine Fußballvereine, sondern Aufwärmclubs für gesellige Bierfeste. Allmählich wird der Fußball zu einer Amateur-Angelegenheit, das Überleben sichert die Arbeit in einer Fabrik für Fußballschuhe. „Wir erkennen alsdann, dass das Beste, was die Welt zu bieten hat, eine schmerzlose, ruhige, erträgliche Existenz ist: Die bietet dir Adidas.“ (78)

Daneben entwickelt sich ein unauffälliges Familienleben mit Frau, Haus und Kind. Gogo liest über den Fußball regelmäßig in den Zeitungen, die Berühmtheiten von früher versickern allmählich im Archiv einer großen Zeitgenossenschaft. Zwischen dem Falkland-Krieg und dem Türken-Match gibt es aus der Entfernung kaum mehr einen Unterschied, beides sind sinnlose Schlachten, deren Ausgang niemand interessiert.

Mit seiner Frau ist er einmal in einer Pension zu Gast, die vom berühmten National-Tormann geführt wird. Dieser geht fett und angefressen mit seinen Schlapfen durch den Frühstücksstrafraum, um den Gästen Kaffee zu servieren.

Aus heiterem Himmel heraus reicht die Frau die Scheidung ein, weil sie nichts mehr fühlt, weder gegenüber dem Erzähler, noch gegenüber der Welt. Für Gogo bricht abermals die Welt zusammen, es ist wieder ein 32. Dezember, wie er jene Tage nennt, an denen es nicht mehr weitergeht.

Das große Loch, worin der Held nun herum watet, lässt sich am ehesten als leerer Wald beschreiben, düster und ohne Witterung. Der einzige Satz, der ab und zu ins Gehirn durchkommt, lautet „Ich bin egal geworden!“ (113) Sowohl Welt, Ego, Karriere als auch Sinn sind egal. Die Steigerung dieses Zustands ist ein leiser Schlaganfall, der durch die Emotionslosigkeit des Angefallenen kaum weiter ins Gewicht fällt. –

Der Tag des Todes ist besser als der Tag der Geburt. (122)

Wie bei einem guten Romangerüst üblich, taucht am Schluss wieder der Schriftsteller Egyd Gstättner auf, um den Rahmen abzuschließen. Er hat eine DVD des Türkenspiels organisiert, sodass Gogo jetzt in Slow-Motion die Tragödie mitverfolgen kann, die sein Leben bestimmt hat.

Schon bald dämmert es Gogo, was er ein Leben lang geahnt hat. Er ist an einem Rasenziegel hängengeblieben und nicht am Gegner. Die Analyse ist unbarmherzig klar:

Die Ursache bin ich selbst.

Fußballmenschen muss man nicht erklären, wie man diesen Roman lesen soll, sie werden ihn fressen, weil Gogo zu ihnen mitten ins Herz hinein erzählt. Die zitierten Akteure pressen ein ständiges Aahh! aus den Körpern der Lesenden. In sogenannten Intermezzi sind diverse Schicksale wie Nebenwirkungen auf einem Beipackzettel angeführt: wer aller früh gestorben ist, wer eine katastrophale Verletzung erlitten hat, wer durch vieles Kopfballen früh in einen Alzheimer verfallen ist. – Das alles macht die Karriere des Gogo durch direkten Vergleich unvergleichlich.

Die Literaturmenschen haben ja schon längst die Parallele zwischen Literaturbetrieb und diversen Fußballligen auf dem Bildschirm. Hier wie dort kämpft eine angebliche Elite um die Gunst des Publikums und steht sich gegenseitig im Weg. Auch bei unerkannten Dichtern gilt die Parole: Die Ursache bin ich selbst.

Das Leben selbst erweist sich als sogenannter Unparteiischer, der manchmal pfeift, ein andermal nicht. Auch im echten Leben gibt es sogenannte Videobeweise, wir nennen sie Romane. Diese schauen wir uns wieder und immer wieder an, und wir sind bestürzt und befreit in einem Atemzug.

Egyd Gstättners Roman ist eine Wahrnehmungsschleuse. Man schläft erregt nach der Lektüre ein und erwacht anderntags als der große Gogo.

Egyd Gstättner, Der große Gogo. Roman
Wien: Picus Verlag 2023, 152 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-7117-2138-9

 

Weiterführende Links:
Picus Verlag: Egyd Gstättner, Der große Gogo
Wikipedia: Egyd Gstättner

 

Helmuth Schönauer, 14-09-2023

Bibliographie

AutorIn

Egyd Gstättner

Buchtitel

Der große Gogo

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Picus Verlag

Seitenzahl

152

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-7117-2138-9

Kurzbiographie AutorIn

Egyd Gstättner, geboren 1962, lebt als freier Autor in seiner Heimatstadt Klagenfurt.