Sibylle Mulot, Die Fabrikanten

Buch-Cover

Manchmal kann ein Stau im Geldfluss eine neue Sicht auf die Welt eröffnen.

In Sibylle Mulots Roman "Die Fabrikanten" ruft die Studentin Lis Kahn von Oslo aus zu Hause im Schwarzwald an, die Telefonmünze klemmt, das Gespräch mit der Mutter wird zeitlich unbegrenzt und es tut sich ein Abgrund auf. Die Familie ist bankrott, Lis muss sofort nach Hause fahren, das Studium abbrechen, Buchhändlerin werden und ihr Leben als Bürgschaft an die Bank verpfänden.

Das Leben kann manchmal recht zackig in die Karriereplanung eingreifen. Lis ist die Letzte einer Holzdynastie, Bahnschwellen, Telegraphenmasten, Holzbaracken für den Arbeitsdienst im Dritten Reich, immer ist das Imperium gewachsen, denn Holz kann man immer brauchen. Erst als sich Vater mit einem Holz-Lexikon verspekuliert hat, geht die Firma den Bach hinunter wie einst die Baumstämme beim Flözen.

Liz ist plötzlich die letzte im Kreis der Fabrikanten, zwar wird sie irgendwie aufgenommen in der Dynastie der Macher, aber dann ist sie doch wieder keine echte Fabrikantin, denn sie ist eine Frau, vertritt eine falsche Zeit, nämlich die Gegenwart, und noch dazu ein Produkt, das nicht standesgemäß ist. Wie kann man als Fabrikantentochter nur Buchhändlerin sein und mit Büchern aus Papier handeln, statt Papier aus Holzstämmen zu schwemmen.

Sibylle Mulot nimmt die literarische Gattung des Sippschafts- und Hausromans artig auf, versetzt aber dann diese bestsellerträchtigen Versatzstücke mit beinahe germanistischer Ironie. Es gibt ein romantisches Introito wie bei in Hermann Brochs Roman "Pasenow", der alte Boss begutachtet die Stadt und den Vorübergang der Zeit, während er mit dem Stöckchen geht und spielt, das Motto "Vorwärts, aufwärts" wird keck daneben präsentiert und gibt dem Roman ein pathetisches Geleit.

Für Fans der Falkentheorie gibt es die verklemmte Münze, die schwere Handlungen nach sich zieht. Später im Text spielen in Buddenbroks-Manier biographische Auslagerungen nach Lübeck eine luzide Rolle, die zeitgeschichtlichen Aspekte des ersten Weltkrieges kommen in breiten Fontane-Streifen ins Gewebe der Dynastie.

Germanistenherz, was willst du mehr, hier kannst du dich prüfen und deines Wissens durch sachte Anspielungen erfreuen. So nebenbei ist der Roman auch eine aufmerksame Studie zur Gender-Diskussion im Wirtschaftsleben. Wozu ist also ein Frauenkörper in der Wirtschaft gut, wenn er nicht lebenslänglich an die Bank verpfändet wird?

Über diesen tiefgründigen Aspekten schwingt kapitelweise einfach üppiger Erzähltext, satt in Farben und Dialogen, eine Belohnung für jeden Leser, der das Breitwandformat über die enge Schwarzwaldidylle auszurollen vermag.

Sibylle Mulot: Die Fabrikanten. Roman einer Familie.
Zürich: Diogenes 2005. 387 Seiten. EUR 21,90. ISBN 3-257-06467-5.


Helmuth Schönauer, 28-03-2005

Bibliographie

AutorIn

Sibylle Mulot

Buchtitel

Die Fabrikanten. Roman einer Familie

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Diogenes

Seitenzahl

387

Preis in EUR

EUR 21,90

ISBN

3-257-06467-5

Kurzbiographie AutorIn

Sibylle Mulot, geb. 1950 in Reutlingen, lebt in Frankreich.