Isabella Krainer, Heul doch!

isabella krainer, heul doch!Manchmal lässt es das literarische Glück zu, dass sich ein ganzes Land über jene Literatur freuen darf, die es mit einem Stipendium angeregt hat. Isabella Krainer hätte auch ohne Großes Tiroler Literaturstipendium den wundersamen Gedichtband „Heul doch!“ geschaffen, durch die offizielle Auslobung für 2023/24 fieberte eine kleine literarische Schar freilich dem Band entgegen, der in einem Tiroler Verlag erscheinen durfte.

Im Nachwort verweist Robert Renk darauf, dass Isabella Krainer schon mit ihrem lyrischen Entwicklungsroman „Vom Kaputtgehen“ ein authentisches Genre geschaffen hat. Der neue Band ist ebenso originär und unvergleichlich geworden, wollte man für eine Laudatio freilich an große Namen anknüpfen, könnte man es mit Barbara Hundegger versuchen, oder einfach von Emile Zola einen elementaren Satz über das Schreiben verwenden, der das Grobe und Feine zusammenfasst:

Man soll mit Fäusten nicht Schreibmaschine schreiben.

Der Aufschrei „Heul doch!“ lässt sich im finsteren Alpenland des Unterbewusstseins mindestens zweifach lesen. Einmal ist es die kalte Aufforderung an eine gequälte Seele, doch den Schmerz herauszuplärren, zum anderen ist es an der von Medien geglätteten Oberfläche die Beschwörungsformel an einen Wolf, der ein friedliches Zusammenleben außerhalb des Märchenbuches besingen soll.

Zwischen den groben Heultönen und der feinen Ritzung der Psyche, zwischen großspurigem Auftreten und schmächtiger Artikulation, zwischen Faust ballen und Text schreiben „spielen die Gedichte“, die ähnlich dem Jahreskreis in vier Saisonen ausgelegt sind.

mädchen im getriebe (5) / weidmanns unheil (33) / es ist kompliziert (49) / tränen. dafür ist geld da (69) lauten die Überschriften, die letztlich einer Verschärfung in der Entwicklung eines Lebens nachspüren.

„mädchen im getriebe“ erzählt von der seltsamen Kraft, mit der die vorbereiteten Geschichten über das Erwachsenwerden plötzlich in den nächsten Gang hoch geschaltet werden, bis sie den Drive jäh beenden. Einem Automatikgetriebe ähnlich setzen zarte Motive plötzlich zum Überholen an und laufen aus dem Ruder.

„mädchen im getriebe // alles nur weil / und später aus trotz / da der ungehorsam heranwuchs / mit dem zorn / mit der zeit und die fenster klemmten“ (5) „first kiss // danach riss sich / das mädchen / milchmädchen aus dem gebiss“ (8)

Im Ambiente von Tankstellen, Auto als Aufriss-Werkzeug, Getriebe und klemmenden Fensterscheiben - sowohl beim Fahrzeug, als auch beim Fensterln im Volkslied - treffen sich Erobernde zum Wettbewerb. Wer schleppt wen ab, und wohin geht die Fahrt, wenn die Drei von der Tankstelle den Film beendet haben? Ab und zu müssen Kinderreim und Gartenspiele herhalten, wenn es um das Tindern geht, Verstecken-Spiele sind gefragt. Und wenn es dann zur Sache geht, wird es explosiv: „nein!// das allein schon ein sprengsatz“ (30)

In „weidmanns unheil“ (33) werden die Vokabeln neu gemischt, von den Waidmännern geht nicht nur für das Wild tödliche Gefahr aus. Auch die Mädchen von einst sind in dieser Todeszone in größter Gefahr. Oft genügt es schon, als Frau am falschen Sitz bloß in die Welt hineinzuhorchen, und schon ist das Jagdrevier aufgebrochen wie ein Wortkadaver. Eine Frau mimt einen Ansitz, aber es sind die falschen Töne in der Luft. In einem anderen Gedicht ist der Baum falsch bezeichnet, der zum Ringelspiel gewählt wird, „unter dem Lindenbaum“ spielt sich nichts mehr ab, ein Mann hängt daran und zuckt ein letztes Mal mit seiner Lende.

Ganze Landstriche geraten in Aufruhr und Erregung, wenn Schnaps unter der Gürtellinie gebrannt wird. „viel haben wir nicht. aber hand und fuß“ (44), „naturschönheit / vor dem spiegel gras rauchen / #ohnefilter“ (45) Die Naturschönheiten zeigen sich mittlerweile eingeraucht unter geheimen Hashtags.

Im dritten Akt „es ist kompliziert“ (49) lassen sich Sachverhalte nicht einmal mehr mit einfachen Sätzen entflechten. Die Ausweglosigkeit linearer Erkenntnis führt hinein ein tierisches Ringelspiel: „es ist kompliziert // eins / mit sich / nur das tier / das sich selbst / in den schwanz beißt“ (50) In einer erlesener Art von lyrischer Metaebene schreiben sich Personen WLAN in den Hinterkopf in der Hoffnung auf guten Empfang.

Kompliziert wird es vor allem nach Trennungen, wenn sich die Getrennten fragen, wer jetzt die Seite gewechselt hat. „mal dir / ein herz um jede narbe / fass dir eins / nimm farbe“ (66)

Der Schlussakkord ist emotional gesetzt wie in einem Film: „tränen. dafür ist geld da“ (69). Das lyrische Ich schwenkt allmählich in eine Kärntner Mundart hinein und berichtet lakonisch von einem Herzenswunsch: Am liebsten täte ich mich beim Einkaufen ins Regal legen. (71) Alles ist ein Strich in der Landschaft, wenn es in Mundart erzählt wird. „Zwanzig Wölfe im Land, achtzig davon Mörder.“ (89) Die letzte Freude bleibt mitten im Gedicht stecken: „freud // wer will schon wissen / was er während seines / todestrieb“ (86)

„Heul doch!“ ist für alle gesellschaftlichen Lagen der letzte Ausweg. Schroff wie dieser pädagogisch verunglückte Befehl wechseln auch die Gedichte von Isabella Krainer in den Bunker-Modus, wenn die Lebensweisheiten getestet und für falsch empfunden worden sind. Die Menschenseelen dieser Gedichte werden mit diesen alleine gelassen. Die Lesenden halten die Buchseiten weit gespreizt und lesen, und lesen und heulen mit.

Isabella Krainer, Heul doch! Gedichte, mit einem Nachwort von Robert Renk
Innsbruck: Limbus Verlag 2024, 96 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99039-251-5

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Isabella Krainer, Heul doch!
Homepage: Isabella Krainer

 

Helmuth Schönauer, 26-05-2024

Bibliographie

AutorIn

Isabella Krainer

Buchtitel

Heul doch! Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2024

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

96

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99039-251-5

Kurzbiographie AutorIn

Isabella Krainer, geb. 1974 in Friesach, lebt in Neumarkt in der Steiermark. Großes Literaturstipendium des Landes Tirol 2023/24.