Wolfgang Brunner, manifesto vigilancia

Buch-CoverManifesto vigilancia kann man vielleicht als lyrisches Überwachungsprotokoll übersetzen. Wolfgang Brunners Gedichte sind nämlich vom Schriftbild her gesehen als Protokoll angefertigt, das ein rasch tippender Polizist nach einem Ereignis in Echtzeit zu bewältigen versucht. Die Szenerie ist oft recht unaufällig, aber eine Kleinigkeit ist dann unsachgemäß installiert und evoziert ein Gedicht.

Raucher stehen bei schrecklichen Minusgraden am Balkon und fühlen sich berauscht, aber sie überschätzen die Lage und kennen sich plötzlich nicht mehr aus. Eine Bar zum Liebhaben wird eingerichtet und schon zeiht sich eine Bratenspur aus Altöl bis hinauf zur Staumauer, dahinter hat sich das Brennnesselland versteckt.

Ich bin nicht zu Spaß da, sagt unvermittelt ein lyrisches Ich und weiß sonst nichts, ich bin einzigartig und kenne viele Frauen, heißt es an anderer Stelle. Und wieder ist es kalt und das Rauchen nützt nichts, aber Hansi Hinterseer bringt die Erlösung: Perfekte Organisation, "immersympathisch", selbst in der Nacht winkt er am Stadtbrunnen seiner Heimatstadt den Fans zu.

In die Lyrikprotokolle sind wie Skizzen bei Verkehrsunfällen die Bleistiftzeichnungen Christian Qualtingers eingebaut. Kaputte Köpfe, leicht eingedellt wie magersüchtige Egon Schieles, grinsen aus dem Graphitknäuel heraus, manchmal verdichtet sich die Graphik zu einem Entwurf für ein Filmplakat, und für sorgfältige Beobachter der Szene taucht endlich der erlösende Schriftzug auf "san se a in Oasch daham - Heimatfilm".

Wolfgang Brunner erzählt in einer ergänzenden biographischen Notiz, dass er ?aus der Not, in einem extremen Tourismusort zu ersticken, zu schreiben begonnen? hat. Seine Texte sind archaisch, wie klobiges Geröll nach einem Felssturz, die Trümmer lassen die ungeheuere Wucht erahnen, mit der sie sich verdrossen und bissig nach unten auf den Weg in die Zivilisation gemacht haben. Die Gedichte sind Ausrisse einer genauen Beobachtung, wie eine Videokamera ab und zu in einen dunklen Winkel hinein sticht, ehe sie fortfährt, das Gelände abzuzoomen.

Wolfgang Brunner: manifesto vigilancia. Mit Zeichnungen von Christian Qualtinger.
Kitzbühel: Eigenverlag 1999. 45 Seiten.

 

Helmuth Schönauer, 26-09-2005

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Brunner

Buchtitel

manifesto vigilancia

Erscheinungsort

Kitzbühel

Erscheinungsjahr

1999

Verlag

Eigenverlag

Seitenzahl

45

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Brunner, geb. 1966 in St.Johann/Tirol, lebt in Kitzbühel als Bauer, Dichter und Drachenflieger.