Vladimir Sorokin, Bro

Buch-Cover

Wie erklärt ein 1955 geborener russischer Schriftsteller um 2005 seinen Lesern, wie das mit dem Stalinismus gewesen ist? – Ganz einfach, er bedient sich eines literarischen Januskopfes aus den Erfolgsserien Universum und Verheißung.

Der Roman Bro legt plastisch, dynamisch und russisch-realistisch los, wie man es sich von Puschkin oder Dostojewski erwarten würde, müssten sie heute noch immer schreiben. 1908 wird der Ich-Erzähler geboren und zur gleichen Zeit geht in Sibirien ein Giga-Meteor nieder. Das Kind erlebt alles easy und ist umspült von satt-bunter Leichtigkeit, wie eben die Kindheiten ausschauen, wenn sie von gesetzten Dichtern als pure Kindheit rekonstruiert werden.

Mit einem einzigen Granateneinschlag ist diese Kindheit jäh zu Ende, die Familie ist mehr oder weniger ausgerottet, der Ich-Erzähler erlebt die russische Revolution wie in Trance und findet sich schließlich in einer Vorlesung wieder, in der ein Professor gerade die Teilnehmer für die dritte Expedition zum sibirischen Meteoriten zusammenstellt.

Wie da alles märchenhaft vorbereitet ist, so dass der Erzähler nur mehr mitfahren muss, das ist eine starke Kampfansage an die Glaubwürdigkeit. Wer als Leser im echten Leben einmal eine kleine Veranstaltung vorbereitet hat, weiss, dass man so nicht einmal in der Literatur eine Expedition vorbereiten darf. Ok, und die letzten zwei Drittel des Buches sind wahrscheinlich meteoristisch und nicht mehr von dieser Welt.

Ein Eisblock, der zu den Menschen spricht, wenn man  mit dem Herzen zuhört, erklärt allerhand süffisantes Zeug. Also der Erzähler heißt in Wirklichkeit Bro, es gibt Verheißungen, Brüder und Schwestern und 23000 Auserwählte. Hier turnt der Roman zwischen Science Fiction und Scientology herum. Aus dem Eisblock fließt offensichtlich eine Heilslehre, die Bro und seine Missionare nun verbreiten müssen, wie die Jesusse ziehen sie durch das stalinistische Russland, werden verfolgt, erhört und überhört.

Im Mittelpunkt steht ab nun die Fleischmaschine, die einerseits imperialistisch agieren soll, anderseits alles für die reine Lehre niederwalzen soll. Manchmal wird unruhig geträumt, dann kommt wieder eine Geschichte kursiv gesetzt daher, als ob nicht schon das ganze Meteoritengestammel kursive Gedanken wären.

Irgendwann um 1950 steigt man als Leser völlig verblendet und verblödet aus dem Text und fragt sich, was mache ich damit? -–Na ja, so schreiben offensichtlich erfolgreiche russische Schriftsteller im Zeitalter Putins. Vielleicht ist das der putinsche Realismus, denn wir eines Tages in unseren russischen Lehrbüchern kleben haben. Die russische Seele kann nicht nur schwermütig sein, manchmal kann sie einem auch schwer auf den Keks gehen.

Vladimir Sorokin, Bro. Roman. A. d. Russ. von Andreas Trentner. [Orig.: Put‘ Bro, Moskau 2004.]
Berlin: Berlin Verlag 2006. 256 Seiten. EUR 22,-. ISBN 978-3-8270-0610-3

 

Weiterführende Links:
Berlin-Verlag: Vladimir Sorokin, Bro
Wikipedia: Biographie - Vladimir Sorokin

 

Helmuth Schönauer, 29-03-2006

Bibliographie

AutorIn

Vladimir Sorokin

Buchtitel

Bro

Originaltitel

Put‘ Bro

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Berlin Verlag

Übersetzung

Andreas Trentner

Seitenzahl

256

Preis in EUR

22,-

ISBN

978-3-8270-0610-3

Kurzbiographie AutorIn

Vladimir Sorokin, geb. 1955 in Moskau, lebt in Moskau.